Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Du lebst, solange ich es will

Du lebst, solange ich es will

Titel: Du lebst, solange ich es will
Autoren: April Henry
Vom Netzwerk:
kein richtiger Job.«
    Sie zieht die Augenbrauen zusammen. »Wieso nicht?«
    »Ich schätze, sie wollen nicht, dass ich als armer Künstler ende. Sie sagen, so was kann ich immer noch nebenbei machen.«
    Sie macht ein skeptisches Gesicht. »Während du Medizin studierst? Ich wette, da kommst du jahrelang zu gar nichts mehr nebenbei. Wie lange dauert so ein Studium überhaupt?«
    »Vier Jahre Vorklinikum, dann vier Jahre klinische Ausbildung und dann mindestens noch zwei Jahre Facharztausbildung.«
    »Zehn Jahre?« Kayla schüttelt grinsend den Kopf. Es war klar, dass sie in zehn Jahren etwas erreicht haben würde und nicht gerade erst anfangen wollte.
    Und jetzt? Wahrscheinlich ist sie tot, wenn nicht, dann ist sie es bald. So ist es doch immer, wenn ein Mädchen entführt wird. Und dann macht irgendein ahnungsloser Spaziergänger einen grausamen Fund. So nennen sie es immer in der Presse. Ein grausamer Fund. Kayla wird nie mehr lachen oder summen. Und sie wird nicht mehr nach Vanille riechen.
    Allerdings glaube ich nicht, dass sie tot ist. Etwas in meinem Inneren sagt Nein. Aber das ist einfach nur albern. Ich höre schon förmlich meine Mutter: Das ist irrational. Die größte Sünde, in den Augen meiner Eltern - irrational sein. Natürlich ist Kayla tot. Was denn sonst?
    Ich zittere immer mehr. Meine Arme schlottern, egal wie fest ich die Hände aneinanderpresse. Wachtmeister Thayer durchdringt mich mit seinem Blick.
    »Was ist mit Brock Chambers? Wir haben gehört, Kayla hat sich erst kürzlich von ihm getrennt. Weißt du, ob ihm das zu schaffen machte?«
    »Brock? Ich weiß nur, wer er ist, das ist alles. Ich habe nie auch nur ein Wort mit ihm gewechselt. Kayla hat allerdings nicht den Eindruck gemacht, als wäre sie traurig oder besorgt wegen irgendetwas.«
    Wachtmeister Thayer stellt mir noch ein paar weitere Fragen, aber es ist offensichtlich, dass ich nichts weiß, und es ist auch offensichtlich, dass er langsam das Interesse verliert.
    Als ich zurück in den Unterrichtsraum komme, starren mich alle an.
    Ich muss immer noch daran denken, was Drew gesagt hat.
    Dass der Mann nach mir gefragt hat. Ich hätte dort am Fluss sein sollen. Meine Handtasche hätte auf dem Beifahrersitz liegen sollen, mein Basecap auf dem Boden. Er wollte mich. Es ist mir egal, was Wachtmeister Thayer dazu meint. Dieser Typ wollte mich. Das Mädchen mit dem Mini Cooper. Er wollte eigentlich mich.
    Vielleicht will er mich noch immer.

FUNDSTÜCK IN KAYLAS KOMMODE

BEWEISMATERIAL

Der dritte Tag
GAVIN
    Augen zu, Augen auf. Es macht keinen Unterschied. Es ist ein Tauchgang im Dunkeln. Gavin wühlt mit bloßen Händen durch Morast und Schlamm, während er auf der Suche nach der Leiche von Kayla Cutler über das Flussbett des Willamette River kriecht.
    Die Leute verstehen immer nicht, wenn man ihnen sagt, dass man auf dem Grund des Flusses nichts sehen kann. Sie haben meistens Taucher im Ozean vor Augen, die von bunten Fischschwärmen umgeben sind. Sie sind fest davon überzeugt, dass man noch seine Hand sehen kann, wenn man sie sich vors Gesicht hält. Kann man nicht. Man sieht gar nichts. Selbst den Lichtstrahl einer starken Taucherlampe könnte man nicht sehen, wenn man sich die Lampe direkt vor die Maske halten würde.
    In der totalen Finsternis ist Gavin aller seiner Sinne beraubt, außer dem Tastsinn. Sein ganzer Körper hat sich in ein gewaltiges Auge verwandelt. Er versucht sich vorzustellen, was er mit den Fingerspitzen, Zehen und allen anderen Körperteilen berührt.
    Manchmal sind die Berührungen beängstigend. Er erinnert sich noch gut an einen Tauchgang im Jahre 1999 in den finsteren Tiefen des Blue Lakes, als er eine Hand an seiner Kehle spürte. Er war einem toten sechsjährigen Mädchen direkt in die offenen Arme geschwommen. Sie war bei einem Picknick mit der Kirchengemeinde ertrunken.
    Gavin ist Mitglied des Multnomah-County-Taucherteams, das ein paarmal im Monat um Hilfe gebeten wird. Ertrinken, Selbstmord, Mörder, vermisste Personen, Verkehrsunfälle, versenkte Autos, Suche nach Hinweisen und hin und wieder ein Einsatz zum Heimatschutz.
    Aber meistens geht es um vermisste Personen. Er weiß nicht mehr, wie viele Leichen er in den letzten elf Jahren geborgen hat. Ein Baby, das von einer Brücke geworfen wurde. Ein alter Mann, der zum letzten Mal angeln gegangen war. Flugzeugabstürze, das sind die schlimmsten. Die Leichen grausam verstümmelt - fehlende Arme, Beine, Köpfe. Und dann gibt es noch die Selbstmörder, die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher