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Du lebst, solange ich es will

Du lebst, solange ich es will

Titel: Du lebst, solange ich es will
Autoren: April Henry
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Vorrang.
    Daran muss ich jetzt oft denken.
    War ich der letzte freundliche, normale Mensch, der sie berührt hat?

NOTRUFAUFZEICHNUNG
    Notrufzentrale: Notrufstelle. Polizei, Feuerwehr oder Krankenwagen?
    Drew Lyle: Ähm, Polizei.
    Notrufzentrale: Worum geht es?
    Drew Lyle: Ich, äh, ich arbeite bei Pete’s Pizza. Meine Kollegin ist ein paar Pizzas ausfahren und seitdem nicht zurück und sie geht auch nicht ans Handy.
    Notrufzentrale: Seit wann ist sie weg?
    Drew Lyle: Seit ungefähr viertel vor neun.
    Notrufzentrale: Heute Abend?
    Drew Lyle: Genau. Und sie ist noch nicht wieder da. Sie hätte schon seit einer Stunde zurück sein müssen.
    Notrufzentrale: Okay, wir schicken jemanden zu Ihnen.

Der zweite Tag
GABY
    Am Donnerstag vor Stundenbeginn kommt Drew zu meinem Schließfach, was ungewöhnlich ist. Wir gehen zwar beide aufs Wilson College und verstehen uns gut bei der Arbeit, aber in der Schule haben wir eigentlich nichts miteinander zu tun.
    »Gaby«, sagt er und dann kommt eine Weile nichts mehr. Er sieht furchtbar aus. Seine Augen sind gerötet und sein sonnengebleichtes Haar ist noch zerzauster als sonst. Ich frage mich, ob er gefeiert hat und nicht ins Bett gekommen ist. Schließlich sagt er: »Hast du schon gehört, was mit Kayla letzte Nacht passiert ist?«
    Das klingt nicht gut. »Nein. Was?« Kayla hat die Schicht mit mir getauscht. Vielleicht hat sie sich beim Aufschneiden von Kanadischem Schinken an der Aufschnittmaschine verletzt. Pete hält uns immer dazu an, das Fleisch hauchdünn zu schneiden, damit wir es bis aufs Mikrogramm abwiegen können. 85 Gramm auf einer kleinen Pizza, nicht mehr und nicht weniger. Pete haut niemanden übers Ohr, aber er schenkt auch niemandem etwas. Und bei der Aufschnittmaschine hat man mehr Kontrolle, wenn man statt des metallenen Fixierteils die Finger benutzt.
    »Kayla ist los, um ein paar Pizzas auszuliefern, und ist nicht zurückgekommen.« Er beißt sich auf die Lippe und sieht an die Decke. Seine grauen Augen füllen sich mit Tränen. Ich bin so überrascht, dass ich einen Moment lang gar nicht mehr mitbekomme, was er sagt. Drew Lyle. Weint. Ich dachte immer, den lässt alles kalt.
    Dann erst begreife ich langsam. Kayla ist nicht zurückgekom men? Es schnürt mir den Brustkorb zu, dass mir der Atem stockt. »Was hast du dann gemacht?«
    »Nachdem ich zugesperrt hatte, habe ich auf sie gewartet. Kayla hat ja noch nicht mal einen Schlüssel und ihr Rucksack war noch im Pausenzimmer. Ich habe es ein paarmal auf ihrem Handy versucht, aber sie ging nicht ran.«
    Ich stelle mir vor, wie Kayla eine rote Ampel überfährt oder ein betrunkener Autofahrer in sie reinkracht. »Hatte sie einen Unfall?«
    Drew schüttelt den Kopf. »Nein. Ich meine, keine Ahnung. Im Moment weiß keiner etwas. Sie kam nicht mehr zurück. Sie ist einfach verschwunden.«
    Konnte Kayla abgehauen sein? Ungefähr eine Sekunde lang denke ich darüber nach. Aber Kaylas Zukunft sah ziemlich rosig aus, zumindest besser als bei den meisten Leuten. Ab diesem Herbst hatte sie ein Softball-Stipendium für die Oregon State. Selbst bevor sie sich von ihrem Freund Brock getrennt hatte, kamen eine Menge Jungs vorbei und kauften bei ihr ein Stück Pizza, nur um mit ihr zu reden. Ich gehe also mal davon aus, dass sie nicht einsam ist. Sie hat mir zwar nicht gesagt, warum sie Freitagabend freihaben wollte, aber ich nahm an, dass sie vielleicht einen neuen Freund hat.
    Außerdem - wenn man abhauen will, würde man sich dann nicht einfach krankmelden und Richtung Sonnenuntergang davonmachen? Wozu sollte man so tun, als würde man eine Pizza ausliefern?
    Wo steckt Kayla also? In dem Moment fällt mir etwas ein, das ich vor ein paar Jahren mal in den Nachrichten gehört habe. »Vielleicht ist sie mit dem Auto ins Schleudern geraten und einen steilen Abhang hinabgestürzt wie dieses Mädchen aus Washington vor ein paar Jahren«, sage ich zu Drew. »Ich meine, vielleicht liegt sie in einem Graben, aber man kann ihr Auto von der Straße aus nicht sehen.«
    Drew blinzelt und eine Träne läuft über seine Wange. Das kann alles nicht wahr sein. Drew Lyle steht vor mir und weint - unmöglich. Es kommt mir vor, als wären wir in einer kleinen Blase. Ich habe die Schüler ausgeblendet, die an uns vorbeihasten, am Zahlenschloss ihrer Schließfächer drehen und Bücher herausholen. Ich sehe nur noch Drew, seine lange Nase, die sich an der Spitze nach rechts krümmt, seine Zähne, die sich in die Unterlippe beißen, und seine
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