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Die reinen Herzens sind

Die reinen Herzens sind

Titel: Die reinen Herzens sind
Autoren: Faye Kellerman
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    Ihr erster Ton war eher ein Quäken als ein Schrei. Dafür hatte sie zehn Finger und zehn Zehen, und das war alles, was Decker kümmerte. Verknautscht und rot, die Haut mit einer weißlichen Schicht wie Penatencreme bedeckt, schien sie die Welt eher als störend und weniger als erschreckend zu empfinden. Decker sah zu, wie Georgina, die Hebamme, dem Arzt seine Tochter ab- und in ihre Arme nahm. Nachdem sie das Neugeborene mit einem Handtuch abgerieben und kurz untersucht hatte, wickelte sie den Winzling in eine Decke. So wurde das Baby schließlich dem Vater zur Begutachtung präsentiert.
    Sie hatte ein fleckiges Gesichtchen, und ihre Nase zuckte, während sie statt zu schreien verhalten piepste. Die Augen waren geschlossen, die Lider so durchsichtig wie eine Zwiebelhaut. Daunenweicher Haarflaum bedeckte ihr Köpfchen. Decker, der Chirurgenhandschuhe trug, legte den Zeigefinger auf die winzige Handfläche. Langsam umschlossen rosarote Fingerkuppen seinen Finger. Decker trieb es die Tränen in die Augen.
    »Ist sie in Ordnung?« Rinas Stimme klang ängstlich.
    »Sie ist perfekt, Darling«, erwiderte Decker. »Einfach … perfekt.«
    »Natürlich ist sie perfekt« Georgina verschränkte die Arme vor der Brust. »Wir bringen hier nur perfekte Babys auf die Welt.«
    Decker wandte seine Aufmerksamkeit seiner Frau zu. Rinas Augen waren rotumrandet, ihre Lippen bewegten sich in stummem Gebet. Feuchte schwarze Haarsträhnen hingen ihr in die Stirn. Nie hatte sie so schön ausgesehen.
    »Sie ist vollkommen, Rina.« Decker hatte einen Kloß im Hals. »Genau wie du.«
    Rina lächelte müde. Decker wurde plötzlich bewußt, wie erschöpft sie sein mußte. Aber das war nach einer Geburt durchaus normal.
    »Fabelhafte Arbeit, Madame Decker!« Georginas feister Finger streichelte über Rinas Arm. »Halten Sie noch ein bißchen durch. Dann können Sie Ihren verdienten Schlaf nachholen.«
    »Mach die Augen zu, Rina«, sagte Decker.
    Sie nickte. Ihre Lider klappten herunter. Plötzlich riß sie die Augen wieder auf. Ihr Atem ging keuchend.
    »Alles in Ordnung, Dr. Hendricks?« fragte Decker.
    »Bis jetzt schon«, antwortete der Geburtshelfer. »Wir warten noch auf die Nachgeburt. Solange gehen die Kontraktionen weiter.«
    Rinas Keuchen hörte so plötzlich auf, wie es begonnen hatte. Decker beobachtete Hendricks. Der Großteil seines Gesichts war durch den Mundschutz verdeckt. Sein Blick ruhte konzentriert auf Rina. Er legte seine Handflächen auf ihren Leib und drückte darauf. »Rina, haben Sie noch Kraft genug, die Kleine an die Brust zu legen?«
    Rina hauchte ein Ja.
    »Na, wunderbar«, sagte Hendricks. »Die Natur hilft uns weiter.«
    »Hilft uns? Wobei?« wollte Decker wissen.
    Der Arzt antwortete nicht. Georgina nahm das Baby Decker ab und legte es Rina an die Brust. Rina nahm das Neugeborene in den Arm und beobachtete, wie der winzige, feuchte Mund suchend über ihre Brust tastete, bis er die Brustwarze gefunden hatte. Mit etwas Ermutigung durch Georgina spitzte das Baby den Mund und begann zu saugen.
    Rina schloß erneut die Augen. Schweißperlen traten ihr auf die Stirn. Decker tupfte ihr Gesicht mit einem Waschlappen trocken. Er sah sich im Geburtszimmer um. Zum ersten Mal nahm er die Umgebung richtig wahr. Die Tapeten zierte ein Rankenmuster. Ein handgewebter Teppich lag auf dem klinisch sauberen Fliesenboden. Das Krankenhausbett war mit Holz verkleidet und paßte damit zu einem Rattan-Schaukelstuhl auf der gegenüberliegenden Seite. Die sehr privat gehaltene Einrichtung sollte die Illusion einer Hausgeburt vermitteln. Aber Decker vermochte das medizinische Gerät in den Ecken und an den Wänden nicht ganz auszublenden.
    Eindeutig ein Krankenhaus.
    Decker war seit neunzehn Stunden hier. Neunzehn Stunden, die sich auf geheimnisvolle Weise auf zehn Minuten reduziert hatten. Jetzt allerdings verstrich die Zeit im Zeitlupentempo. Die Zeiger der Wanduhr sagten ihm, daß seit der Geburt seiner Tochter zehn Minuten vergangen waren. Das Baby saugte noch an Rinas Brust, aber sie hatte die Augen bereits wieder geschlossen. Sie stillte im Schlaf. Rosarote, herzförmige Lippen bearbeiteten Mamas Brustwarze, und zarte Adern pulsierten an ihren Schläfen. Decker wußte, daß er voreingenommen war. Und trotzdem: Sie war eine Schönheit!
    Sein Blick schweifte zu Rina. Ihre Lippen waren bleich und rissig.
    »Darf Rina was trinken?« fragte er.
    »Noch nicht«, wehrte Hendricks ab. Er drückte erneut auf Rinas Bauch.
    »Darf sie
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