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Die reinen Herzens sind

Die reinen Herzens sind

Titel: Die reinen Herzens sind
Autoren: Faye Kellerman
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wenigstens Eiswürfel lutschen?«
    Diesmal blieb der Arzt ihm die Antwort schuldig. Decker merkte, wie sich Kopfschmerzen ankündigten. Vielleicht war es nur der Hunger. Zehn Stunden waren seit seiner letzten Mahlzeit vergangen. Rina begann konzentriert und rhythmisch zu atmen. Decker hielt ihre Hand, murmelte Ermutigendes. Vor dem Eintreffen des Arztes hatte er sich wichtig gefühlt. Jetzt kam er sich als lästiges Anhängsel vor … nützlich, aber entbehrlich. Rina beendete das rhythmische Atmen. Ihre Stimme war nur ein Flüstern.
    »Ich bin sehr müde.«
    »Kann ich mir vorstellen«, sagte Hendricks. »Ich finde, Sie haben eine Verschnaufpause verdient. Georgina, legen Sie das Baby in den Inkubator und fahren Sie es in die Wachstation.« Er sah Decker an. Lachfältchen bildeten sich in seinen Augenwinkeln. »Ihr habt eine süße, kerngesunde Tochter. Dürfte nach einer Stunde aus dem Wachraum kommen. Dann bringen sie sie in die Säuglingsstation, und Sie können vor der Familie mit ihr Furore machen.«
    »Freue mich schon drauf.« Decker lächelte.
    »Sind die Großeltern aufgeregt?« fragte Hendricks.
    »Kann man sagen. Haben schon lange keinen Säugling mehr in den Armen gehalten.«
    Er ebenfalls nicht, dachte er. Neunzehn Jahre. Mein Gott, es kam ihm erst wie gestern vor, daß Cindy geboren worden war. Dabei schien es gelegentlich tausend Jahre her zu sein. Georgina legte das Baby in den Inkubator. »Bin gleich zurück.«
    Decker nickte. Im Zimmer wurde es still. Rinas Augen waren geschlossen, ihre Lippen leicht geöffnet. Decker wollte ihr sagen, wie sehr er sie liebte, brachte es jedoch nicht fertig, ihren Schlaf zu stören. Wenige Minuten später kam Georgina zurück. Sie legte die Hand auf Deckers Schulter.
    »Na, wie geht’s, Vater?«
    »Nicht schlecht für einen alten Knacker wie mich«, erwiderte Decker. »Die Mutter schläft.«
    »Ja, sie braucht jetzt Ruhe und Frieden.«
    »Georgina, machen Sie zwanzig Milligramm Pitocin zur Infusion fertig, ja«, bat Hendricks.
    Decker sah ängstlich zur Hebamme hinüber. Georgina lächelte mit schiefen Zähnen, aber sie machte keinen fröhlichen Eindruck. Dann rollte sie den Infusionsständer aus der Ecke, öffnete einen Schrank und entnahm eine Plastikflasche, die an einem Haken gehangen hatte. Georgina steckte den Infusionsschlauch in die Kanüle in Rinas rechtem Arm und drehte an einigen Ventilen. Einen Moment später rann eine durchsichtige Flüssigkeit durch die Plastikschläuche. Erneut drückte der Arzt auf Rinas Bauch. Ein leises Stöhnen entwich ihren Lippen, als sie versuchte, ihre Atemtätigkeit zu kontrollieren. Aber die Erschöpfung forderte ihren Tribut. Rina schrie auf. Decker sah Hendricks an.
    »Ich drücke ziemlich fest«, sagte der Geburtshelfer ruhig. »Es fühlt sich nicht gut an, aber es sollte der Mutter helfen. Georgina, stellen Sie die Infusion schneller ein.«
    »Wird gemacht, Doktor.«
    Decker mißfiel der militärisch pragmatische Ton der Hebamme. Die gutmütige Jovialität war berufsspezifischem Ernst gewichen. Er fühlte, wie sein Herz raste.
    »Alles in Ordnung, Doktor?«
    »Sie hat Probleme, die Plazenta abzustoßen.« Hendricks hielt inne. »Ich kann sie fühlen, aber … Das Pitocin dürfte helfen. Tut’s weh, Herzchen?«
    Rina nickte.
    »Tut mir leid, aber ich muß weiter auf Ihre Gebärmutter drücken. Atmen Sie rhythmisch weiter.« Er wandte sich an Decker: »Helfen Sie ihr einfach genau wie während der Wehen.«
    Der Arzt drückte auf Rinas Leib. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt.
    »Versuchen Sie weiter zu atmen, Rina«, forderte Hendricks sie auf.
    »Ich kann nicht …«
    »Atmen, Rina!« sagte Decker. »Drück meine Hand, wenn’s weh tut.«
    Rina nahm seine Hand. Ihre Finger waren kraftlos. Ihr Teint hatte ein ungesundes Grau angenommen. Hendricks schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. Decker sank das Herz in die Hose.
    »Georgina, holen Sie eine Liege und sehen Sie nach, wer in der Anästhesie Dienst hat«, befahl Hendricks. »Und bringen Sie mir 0,25 Milligramm Methergin und ein Blutdruckmeßgerät.«
    »Was ist los, Doktor?« fragte Decker.
    Hendricks beachtete ihn nicht.
    »Was ist los ?« wiederholte Decker.
    »Ein Moment.«
    Decker schwieg. Sein Magen krampfte sich zusammen. Sein Körper schmerzte vor Anspannung. Er zwang sich, Kreisbewegungen mit dem Kopf zu machen. Seine Nackenwirbel knackten. Georgina kam zurück. Sie hatte ein Metalltablett mit einer Spritze in der Hand. Hendricks griff danach und gab
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