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Du lebst, solange ich es will

Du lebst, solange ich es will

Titel: Du lebst, solange ich es will
Autoren: April Henry
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einem Zimmer, ungefähr zwei mal vier Meter groß. Das marineblaue Futondoppelbett, auf dem ich sitze, nimmt fast den ganzen Raum ein. Keine Fenster. Die Wände sind kahl und weiß. Die Decke ist niedrig, knapp über zwei Meter hoch. Es ist klaustrophobisch.
    Am Fußende des Betts steht ein schmales weißes Buchregal mit einem Fernseher oben drauf. Dahinter ist in der einen Ecke eine Toilette und in der anderen eine Tür.
    Eine Tür!
    Ich stürme darauf zu. Zumindest will ich das. Doch nach zwei Schritten wird mir schwindelig. Ich falle auf die Knie, krieche vorwärts und achte nicht weiter auf das Blut, das den Boden besprenkelt. Ich muss hier raus.
    Doch der Türknauf bewegt sich nur ein paar Millimeter. Ich drehe ihn in die andere Richtung. Er rührt sich gar nicht.
    »Ich will hier raus! Ich will hier raus!« Ich hämmere gegen die Tür. Dann halte ich inne und lausche.
    Nichts.
    Stille.
    Keiner kommt. Vielleicht hört mich auch keiner.
    »Hilfe! Hilfe! Ich lebe noch! Ich lebe noch und bin hier drin!«
    Ich ziehe mich am Türknauf hoch. Dann trete ich gegen die Tür, versuche den Knauf zu treffen und das Schloss aufzubrechen. Es bewegt sich keinen Millimeter. Ich trete, hämmere und schreie. Die weiße Tür ist mit meinen blutigen Fingerabdrücken übersät. Ich falle um und stehe wieder auf. Immer wieder. Ich weine und schreie, bis mir schlecht wird, ich würgen muss, Speichelfäden an meinen Lippen hängen. Doch sobald ich wieder Luft geholt habe, hämmere ich erneut gegen die Tür, brülle und rufe.
    Schließlich muss ich mich hinlegen. Ich presse mein Gesicht gegen den Spalt unter der Tür. Auf der anderen Seite ist es dunkel, als wäre dort nichts und niemand. Als hätte man mich in eine Gruft gesperrt.
    »Ich will hier raus«, sage ich, aber jetzt flüstere ich nur noch. »Ich will hier raus.«

Der vierte Tag
„JOHN ROBERTSON"
    Wieder dringen Schreie aus dem Zimmer, das ich extra gebaut habe. Schwach, aber dennoch hörbar. Ich lege mein Schablonenmesser beiseite, schnappe mir die Fernbedienung vom Fernseher und drehe die Lautstärke hoch. Na bitte. Problem gelöst.
    Leider nicht wirklich.
    Es läuft nicht nach Plan. Habe ich vom letzten Mal nichts gelernt? Aber nein, ich war zu gierig. Schon wieder.
    Vor vier Tagen wollte ich meinen Plan in die Tat umsetzen. In dieser Nacht war der Himmel bewölkt.
    Somit half kein Mondlicht dem Pizzamädchen dabei herauszufinden, dass ich eine falsche Adresse angegeben hatte. Auch den paar Anwohnern sollte es in dieser Nacht schwerfallen, etwas auf der unbeleuchteten Straße zu erkennen. Außerdem war Mittwoch, also sowieso nicht viel los. Gaby Klug sollte die Pizzas ausfahren.
    Gaby ist diejenige, die ich für mein sogenanntes Projekt ausgewählt habe. Das Projekt, zweiter Teil. Anfangs ist sie schüchtern, doch irgendwann taut sie auf und macht Scherze. Aber erst, nachdem sie dich genau gemustert hat und meint, dass es okay ist. Dass es dir gefällt.
    Sie wäre perfekt.
    Nachdem mir erst einmal klar geworden war, dass ich ein Mädchen dazu bringen kann, sich mir selbst direkt auszuliefern, hat es Monate gedauert, bis ich mich für eins entschieden habe. Monate voller fettiger Pizzastücke, Pizzas zum Mitnehmen und Monate, in denen ich den Parkplatz beobachtete, um zu sehen, wer die Pizzas ausfuhr. Bei Pete’s Pizza arbeiten neun Mädchen und Frauen. Aber nicht alle fahren Pizzas aus. Und diejenigen, die übrig bleiben? Da wäre zum Beispiel Petes Frau, Sonya. Vierzig, zu viel Schminke, zu dicker Hintern, zu frech. Nicht mein Typ. Absolut nicht mein Typ. Oder Courtney mit den kleinen, kalten Augen, umrandet mit schwarzem Kajalstift. Amber mit ihrem durchdringenden, übertriebenen Lachen.
    Die meisten passen nicht.
    Von meiner Arbeit weiß ich, dass man mit dem richtigen Rohmaterial anfangen muss, wenn etwas Ordentliches dabei herauskommen soll. Man fängt nicht mit den falschen Bauteilen an und versucht sie zu etwas zu verbiegen, das sie nie waren und nie sein können.
    Auch das habe ich beim ersten Mädchen gelernt. Wie hieß sie gleich noch mal? Jenny? Jessica? Janie? Ich erinnere mich nicht mehr. Sie war ein Experiment, mehr nicht. Erst als sie schon bei mir war, wurde mir klar, dass sie vollkommen ungeeignet für meine Zwecke war. Es war fast wie damals, als ich mich zwischen Polyurethan und Styropor für meine Modellarbeiten entscheiden musste. Erst wenn man mit Styropor gearbeitet hat, weiß man, dass es nicht so viele Lacktechniken zulässt.
    Und Kayla? Kayla
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