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Du lebst, solange ich es will

Du lebst, solange ich es will

Titel: Du lebst, solange ich es will
Autoren: April Henry
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beiden Krankenwagen stehen die hinteren Türen auf. Ich sehe, wie sie Gabys reglosen Körper darin behandeln. Sie bekommt Sauerstoff und einer der Sanitäter hängt gerade einen durchsichtigen Beutel mit einer Flüssigkeit auf, die durch einen Schlauch in ihre Hand läuft.
    Dann fasst sich Gaby mit dieser Hand ans Gesicht und etwas in mir löst sich. Sie lebt also. Gaby lebt, kein Zweifel.
    Ich atme tief ein. Ich rieche den Rasen, die Erde und tausend andere Gerüche, von denen ich dachte, sie nie mehr wahrnehmen zu können. Die Sterne funkeln wie Diamanten und mir kommen die Tränen.
    Kaum eine Stunde später stehen drei Ärzte an meinem Bett und besprechen, wie sie meinen Kopf am besten behandeln werden, als ein Polizist den Vorhang der Notfallkabine beiseiteschiebt. Ich bin noch immer geschwächt, obwohl sie mir drei Packungen Crackers und einen Müsliriegel gegeben und noch mehr Essen versprochen haben. Weil ich unablässig gezittert habe, haben sie mich in weiße Heizdecken eingewickelt. Heizdecken sind eine grandiose Erfindung.
    Einen Moment lang starrt der Polizist mich nur an. Er hat eine kräftige Nase und Augen, denen nichts entgeht. Dann lächelt er und sieht nicht mehr einschüchternd aus. Er streckt mir seine Hand entgegen. »Kayla, ich bin Wachtmeister Thayer. Ich habe mich von Anfang an um deinen Fall gekümmert.«
    Ich richte mich auf einem Ellbogen auf und schüttle ihm unbeholfen die Hand. »Danke«, sage ich. Es ist komisch, wenn man hört, dass man ein Fall war.
    »Ich werde morgen mit dir reden«, sagt er. »Es gibt da noch ein paar Details, die uns fehlen.«
    Ich nicke. Mir fällt die Unterhose wieder ein, die einem anderen Mädchen gehört haben muss, aber darüber will ich jetzt nicht nachdenken. Morgen reicht auch noch.
    »Es gibt ein paar Leute, die dich gerne sehen würden.« Wachtmeister Thayer dreht sich um, zieht den Vorhang zurück und meine Eltern und mein Bruder drängen sich an mein Bett, während der Wachtmeister geht. Ich richte mich ganz auf. Sie umarmen mich alle drei gleichzeitig. Unsere Gesichter sind warm und feucht vor Tränen. Wir weinen und lachen zugleich.
    Schließlich reißt sich meine Mom los und sieht mich an. Erst jetzt bemerkt sie den Verband über meinem Ohr und meinen frisch geschorenen Kopf. Die Krankenschwester wollte erst nur eine Seite abrasieren, doch ich sagte ihr, das würde ja noch bescheuerter aussehen.
    »Oh, Kayla«, haucht sie und ihre Finger schweben über dem Verband, »deine Haare!«
    »Ich finde, sie sieht cool aus«, sagt Kyle. »Wie eine wilde Kriegerin.« Mein Vater nickt und wischt sich die Tränen ab.
    Meine Mom kräuselt die Lippen. »Kayla hat Glück, dass ihr Kopf so schön geformt ist.«
    Der Kommentar ist so typisch Mom - immer das Positive an der Sache sehen -, dass wir alle lachen müssen. Ich habe so lange schon nicht mehr gelacht. Hätten Gaby und Drew mich nicht gerettet, hätte ich vielleicht nie wieder gelacht. Gott sei Dank habe ich mir nicht mit dem selbst gebastelten Messer die Pulsadern aufgeschnitten.
    Es fühlt sich so großartig an, wieder von meiner Familie umgeben zu sein, dass mir erst nach einer Weile auffällt, wie mitgenommen alle aussehen. Moms Wangen sind eingefallen, Dad ist unrasiert. Kyle hat dunkle Augenringe. Jeden Tag, den ich dort unten im Keller verlebt habe, haben sie in ihrem ganz eigenen Gefängnis verbracht.
    Aber jetzt sind wir alle frei.

 
Der sechzehnte Tag
GABY
    Auch wenn deine Eltern in dem Krankenhaus, in dem du eingeliefert wurdest, als Chirurgen arbeiten, behalten sie dich nicht unbedingt länger dort. Da muss man schon richtig krank sein oder halb im Sterben liegen. Und davon sind wir drei weit entfernt. Wir haben nur anderthalb Tage auf der Notfallstation verbracht und werden jetzt entlassen. Meine Eltern haben es so gedreht, dass ich mit Kayla in einem Zimmer lag und Drew gleich nebenan. Nachdem wir der Polizei alles erzählt hatten, haben wir uns gegenseitig alles berichtet.
    Im Krankenhaus hat man das Möglichste dafür getan, damit es uns schnell besser geht und wir gesund bleiben. Kayla, Drew und ich wurden gegen Tetanus geimpft, geröntgt und haben ein breites Spektrum an Antibiotika verschrieben bekommen, die wir zehn Tage lang nehmen sollen, nur für alle Fälle. Natürlich konnten sie nichts daran ändern, dass uns alle noch immer Kratzer und Nähte zieren. Zu dritt ergeben wir ein wunderbares Frankensteinmonster.
    Kayla hat sich mit ihrem Porzellanmesser in die Handfläche
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