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Du lebst, solange ich es will

Du lebst, solange ich es will

Titel: Du lebst, solange ich es will
Autoren: April Henry
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stolpert orientierungslos herum, alle schreien wild durcheinander.
    »Kayla!«, ruft Gaby. »Kay-« Ihr Ruf wird erstickt. Ich drehe mich hektisch um, strecke die Arme aus und versuche sie zu finden.
    Ich höre Gescharre und dann bewegen sich zwei dunkle Gestalten auf die Treppe zu. Es ist der Mann. Er hält Gaby im Schwitzkasten. Mit der rechten Hand drückt er etwas Silbernes an ihren Hals. Zuerst denke ich, es ist ein Messer, doch dann erkenne ich, dass es ein Schraubenzieher von der Werkbank ist.
    Ich sehe mich nach Kayla um. Sie kniet mit hängendem Kopf auf dem Boden des Raumes, der vermutlich ihr Gefängnis war, stützt sich mit einer Hand ab und hält sich mit der anderen den Bauch. Die Holzlatte ist verschwunden. Hat der Mann sie verletzt? Mit dem Schraubenzieher nach ihr gestoßen, bevor er sich Gaby geschnappt hat?
    »Du da. Hol die Taschenlampe.« Er deutet mit dem Kopf zur Werkbank, an die Stelle, wo sie hängt. Ich tue, was er sagt, nehme die schwarze Taschenlampe von der Werkzeugwand. »Und jetzt suchst du die Waffe und gibst sie mir, oder ich ramme Gaby den Schraubenzieher in den Hals, dass er auf der anderen Seite wieder rauskommt.«
    Meine Angst könnte kaum größer sein, doch als ich Gabys
    Namen aus seinem Mund höre, möchte ich schreien. Er presst den Schraubenzieher tiefer in ihre Haut. Eine winzige dunkle Blutspur rinnt an ihrem weißen Hals hinab.
    Er hat Gabys Kopf so weit zurückgerissen, dass ich ihre Augen nicht sehen kann. Aber ich kann ihre Stimme hören. »Tu es nicht«, stößt Gaby hervor. »Hör nicht auf ihn.« Ich weiß, was sie denkt. Wenn er erst einmal die Waffe hat, was hält ihn dann davon ab, uns alle drei zu erschießen?
    Dennoch tue ich es. Ich höre auf ihn. Weil sein Blick irre ist, sein Mund entschlossen und ich weiß, dass er Gaby sofort töten wird, wenn ich nicht mache, was er sagt. Und ich kann nicht einfach nur dastehen und dabei zusehen.
    An der Werkzeugwand klafft eine leere Stelle, wo der Schraubenzieher hing, den er jetzt gegen ihren Hals drückt. Es hängen noch jede Menge andere Werkzeuge an der Wand: Schraubenschlüssel, Hämmer, Spachtel und Sägen. Zwar sehen sie alle so aus, als könnte man mit ihnen einigen Schaden anrichten, sie sind das Risiko dennoch nicht wert. Ich schalte die Taschenlampe an und gehe in die Ecke, in die die Waffe geflogen ist.
    »Mach schon!«, schnauzt er, und um der Sache Nachdruck zu verleihen, wimmert Gaby. Wie weit hat er den Schraubenzieher schon in ihren Hals gedrückt? Ich denke an all das, was durch den Hals verläuft, wie wir es in Bio gelernt haben. Die Luftröhre. Die Halsschlagader. Die Halswirbelsäule.
    Im Licht der Taschenlampe leuchtet etwas schwarz auf. Die Waffe. Ich nehme die Taschenlampe in die linke Hand, bücke mich nach der Pistole und richte mich wieder auf. Obwohl ich mich schnell bewege, läuft alles wie in Zeitlupe ab. Meine Gedanken überschlagen sich und ich frage mich, ob ich so mutig oder so dumm bin, auf ihn zu schießen, während er sich hinter Gaby versteckt. Ich drehe mich um und weiß immer noch nicht, was ich tun soll. In dem Moment stürmt Kayla schreiend an mir vorbei. Sie hält etwas Schmales, Weißes in den Händen, ungefähr fünfzehn Zentimeter lang.
    Dann schreien alle drei durcheinander, brüllen, scharren über den Fußboden. Eins der beiden Mädchen kreischt. Polizeisirenen erklingen, werden immer lauter. Aber ich glaube nicht, dass sie noch rechtzeitig hier sein werden.
    Ich leuchte mit der Taschenlampe. Der Mann steht gerade auf und fasst sich mit einer Hand an die blutige Hüfte, an der sein Hemd aufgeschlitzt wurde. Kayla und Gaby liegen am Boden. Er tritt Kayla. Brutal. Dann Gaby. Sie rühren sich nicht. Mit zwei Schritten ist er an der Werkzeugwand. Er sucht sie mit der Hand ab und verharrt bei einem riesengroßen Universalschraubenschlüssel. Er reißt ihn vom Haken, dreht sich wieder um und holt mit dem Schraubenschlüssel aus.
    In dem Augenblick drücke ich ab.

Der vierzehnte Tag
KAYLA
    Der Schuss ist so laut, dass ich danach ein paar Sekunden lang nichts mehr hören kann.
    Erst dann nehme ich allmählich die heulenden Sirenen wahr und die Rufe »Polizei! Polizei!«.
    »Hier unten!«, schreie ich und versuche aufzustehen. Doch ich rutschte mit der blutigen Hand vom Betonboden ab und falle auf jemanden drauf. Jemand, der warm und feucht ist. Er ist es, ich weiß es. Ich würge vor lauter Ekel und Angst und weiche schnell zurück. Doch als eine Taschenlampe die Treppe
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