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DU HÖRST VON MIR

DU HÖRST VON MIR

Titel: DU HÖRST VON MIR
Autoren: Luis Algorri
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besoffen, um deine Angst zu überwinden, José, damit du dich das zu tun trautest, was du machen wolltest. Du hast dich so heftig ins Zeug gelegt, nicht ich. Du wirst jetzt ja wohl nicht behaupten...«
    »Ach, denk doch was du willst.«
    »Was ich denken will, was ich nicht aufhören kann zu denken, ist, dass du zu mir gesagt hast, dass du mich liebst. Das hast du zu mir gesagt, José, du hast es oft wiederholt, José, du musst dich daran erinnern.«
    »Ich weiß nicht. Ich hatte echt viel getrunken, ich erinnere mich nicht mehr an solche Sachen. Wenn ich das zu dir gesagt habe, dann meinte ich, dass ich dich als Freund mag.«
    »Das ist eine Lüg... das ist nicht wahr. So hast du es nicht gesagt.«
    »Na gut, meinetwegen glaub doch, was du willst.«
    Warum tat er mir das an? Ich überlegte kurz, ob es sich vielleicht um seinen schwarzen Humor handeln könnte, der  sich im nächsten Moment in einer Umarmung, einem Sturm von Küssen aufklären würde. Aber das geschah nicht. Es dauerte zu lange. Ich war kaum noch in der Lage, meine Tränen zurückzuhalten. Das war, als ich in meinem Innersten suchte, und mir ganz plötzlich auf schockierende Weise klar wurde, dass es für mich keinen Ort gab, an den ich zurückkehren konnte, wohin ich flüchten konnte, wo ich mich sicher fühlen konnte. Die Vergangenheit hatte aufgehört zu existieren, es gab kein Zurück mehr zu den Tagen der Nachhilfestunden.
    Freibad und Prüfungen waren vorbei. Die Beresina hat es nie gegeben, und wir waren andere Personen.
    »Hey...«, flüsterte ich, »José, sieh mich doch wenigstens an, komm schon.«
    Er drehte sich um. Es lag ein solcher Hass in seinem Blick, dass ich automatisch meine Augen senkte.
    »Schau mich doch nicht so an...«
    »Ich schau dich an wie immer.«
    Mein Gott! Wann war dieses ›Immer‹ gewesen? In die Enge getrieben und eingeschüchtert von der Abscheu, der Verachtung dieses Unbekannten, der nur voller Ungeduld darauf wartete, dass die Konversation endete, damit er endlich schlafen konnte, versuchte ich, ihn zumindest daran zu erinnern, dass es eine vorige Nacht immerhin gegeben hatte. Das war mir genug. »José, ich weiß nicht, ob du dich erinnerst oder nicht, aber gestern Nacht warst du absolut glücklich mit mir.«
    »Aber hast du denn nicht gemerkt, dass ich jedes Mal wenn ich dich angefasst habe, an eine Frau denken musste, um überhaupt geil zu werden.«
    Das war gelogen, aber es war ja nun auch egal. Es war ohnehin alles verloren. Die Tränen begannen mir ruhig, ohne Anstrengung aus den Augen zu quellen. José wäre auf mich zugekommen, um sie mit seinem guten Herzen zum Stehen  zu bringen. Dieser Typ im Zelt zuckte nicht einmal mit der Wimper.
    »An eine bestimmte oder an irgendeine?«
    »Das geht dich gar nichts an.«
    Es tat nicht weh. Wenn sie auf dir rumtrampeln, so entsteht der Schmerz beim Brechen des ersten Knochen. Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob es einer, fünf oder zehn Knochen sind. Javier wäre ohne Zögern aus dem Zelt gegangen, und hätte die Nacht lieber im Freien verbracht. Aber das Wenige, das von ihm übrig geblieben war, dass heißt ich, war kaum noch in der Lage zu unterscheiden, welche seine Gedanken waren, und welche nicht. Und das Einzige, was er wusste, war, dass der Unbekannte, der neben ihm in diesem Schlafsack lag, das geliebte Gesicht Josés trug.
    »Also ich brauchte an niemanden anderes zu denken als an dich«, sagte ich mit leiser Stimme, »denn ich liebe dich sehr wohl. Ich bin ganz sicher, ich liebe dich, José, und ich werde die Nacht gestern nie vergessen. Denn es gibt auf der Welt niemanden sonst...«
    »Und was ist...«, unterbrach er mich mit lauter werdender Stimme, »und was ist mit Ana?«
    Das war entwaffnend.
    »Ich weiß es nicht. Ich vermute, es gibt unterschiedliche Formen der Liebe unter den Menschen. Aber ich bin mir nicht sicher.«
    »Klar ist immerhin«, sagte er in einem Ton, als ob es schon lange in sich trüge und schon darauf gewartet hatte, es loszuwerden, »dass du von langer Hand alles fein geplant hattest, oder nicht? Der ganze Film mit den Nachhilfestunden. Wie toll hast du das alles eingefädelt. Und das Einzige, was du von Anfang an wolltest, war, mich dafür hierher zu schleppen.«
    »Und wofür, deiner Meinung nach?«
    Eigentlich an das Strahlen seines Gesichtes gewöhnt, erschreckte mich diese hasserfüllte Fratze zutiefst.
    »Das weißt du ja wohl besser als ich, oder?«
    »José«, flüsterte ich und schaute ihn durchdringend
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