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DU HÖRST VON MIR

DU HÖRST VON MIR

Titel: DU HÖRST VON MIR
Autoren: Luis Algorri
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Erster Teil
    J a, er war es, der mir an jenem Nachmittag die Tür geöffnet hatte, sehr viel später erinnerte ich mich wieder daran. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen. Es war Anas Geburtstag, und wir waren eine Gruppe von acht oder zehn Leuten, die lärmend den vierten Stock erklommen hatten. Es gab keinen Fahrstuhl und ich erinnere mich an diese endlose Treppe mit ihrem alten Holzgeländer, dem Geruch nach Bohnerwachs und den grauen, gescheuerten Steinstufen. Ana und ich hatten uns erst kurz zuvor kennen gelernt, an jenem Tag auf dem Lande, wo unsere beiden Cliquen – ihre Freunde und meine Freunde –
    das erste Mal gemeinsam etwas unternommen hatten. Ich hatte mich amüsiert, aber vor allem hatte ich es genossen, zu sehen, wie Ana mich anschaute, wie sie Clara ins Ohr flüsterte und dabei lächelte. Kurz darauf kam sie zu mir, ganz nervös, und lud mich auf ihren Geburtstag ein.
    Ich sah ihn ganz plötzlich, als er uns die Tür öffnete. Ich war es, der geklingelt hatte und nun war sein Gesicht einen halben Meter vor mir. Wie ernst er war. Dunkler Pulli, Jeans.
    Ungefähr siebzehn oder achtzehn, vier oder fünf Jahre jünger als ich, schlank, ungefähr meine Statur, schwarze Haare, lang und wuschelig, fast lockig. Ich fühlte einen Schauder und fragte nach Ana.
    »Ihr kommt zum Geburtstag?«, fragte er zurück.
    »Ja.«
    »Geht einfach nach hinten durch zum Salon am Ende des Korridors.«
    Wir traten ein. Mein Geschenk für Ana war ein grüner Frosch, aus Holz und an einer langen Spiralfeder, den sie sogleich an der Decke ihres Zimmers befestigte. Andere schenkten ihr Bücher, Klamotten, CDs und so. Wir hatten viel Spaß. Ana tanzte fast den ganzen Abend mit mir, machte sich lustig über meine Tollpatschigkeit, lehrte mich, meine Füße zu bewegen, lächelte dieses wunderschöne Lächeln.
    Wir tranken viel. Anfangs suchte ich nach ihm unter den Gästen, aber als ich ihn nicht sah, vergaß ich allmählich diesen unsympathischen Burschen, der uns die Tür geöffnet hatte.
    Mein Geburtstag war zwei Wochen später und natürlich kamen Ana, Clara und die anderen. Wir feierten mit meinen Eltern draußen auf dem Land, und es war ebenfalls ein schönes Fest: die glänzenden Pappeln, der Geruch des Flusses, das Lagerfeuer, die gerösteten Kartoffeln, Patxi mit seiner Gitarre, der versuchte uns zum Singen zu bringen. Ich lächelte, als Ana mir leicht errötend vorschlug, eine kleine Spritztour entlang des Flusses mit dem Moped meines Bruders zu machen. Sie umfasste meine Taille und ich startete die Maschine mit einem einzigen Kick, entschlossen, ihre Nerven auf die Probe zu stellen. Ich gab richtig Gas und drehte ganz schön auf, bis der Weg plötzlich einfach endete. Wir stiegen heftig atmend ab, und ich lehnte das Moped gegen einen Baum. Mir zitterten die Beine. Ich sah sie an und sagte unvermittelt: »Dir würden kurze Haare besser stehen. Wie ein Junge.«
    »Glaubst du?«
    »Ja klar.«
    »Na gut, ich bin für morgen sowieso mit Clara zum Friseur verabredet.«

    Als wir zurückkamen, waren die anderen gerade mit dem Essen fertig. Mein Vater grinste, als er uns sah und stieß meine Mutter mit dem Ellenbogen an: Ana und ich hatten wirres Haar, die Kleidung voll von diesen Puscheln, die Pappeln im Frühjahr herumfliegen lassen. Sie trug meinen Anorak und ohne meinen Arm loszulassen, schaute sie mich mit leuchtenden Augen an.
    Die ersten Tage waren sehr intensiv. Ana legte ihren Arm fest um meine Taille, wenn wir spazieren gingen, sie trug meinen Anorak und ich fand mich damit ab, dass er von nun an nicht mehr mir gehörte. Ebenso gewöhnte ich mich bald daran, auf der Straße und auch sonst überall dieses kleine hübsche Köpfchen mit dem frisch geschnittenen Bubikopf zu entdecken, das so perfekt zwischen meine Schulter und meinen Hals passte. Wir begeisterten uns beide für Pablo Milanés, für die Berge, Van Gogh, Laura (Laura war ihre zehn Monate alte Nichte), Queen, Julio Cortázar, Mozart und für die geheimnisvolle Alchemie eines guten Bizcocho de nata. Wir brauchten nicht lange, um uns über unsere jeweiligen Knutschtechniken einig zu werden, nach wenigen Tagen bereits genügte ein Lächeln, das uns schleunigst nach einem dunklen und einsamen Hauseingang Ausschau halten ließ.
    Die Welt war stehen geblieben und hatte mit uns nichts mehr zu tun. Alles war einfach nur schön.
    »Warum gehen wir nicht zu mir nach oben?«, fragte Ana.
    »Bist du verrückt? Und deine Eltern?«, entgegnete ich.
    »Meine Eltern sind nicht
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