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Du findest mich am Ende der Welt

Du findest mich am Ende der Welt

Titel: Du findest mich am Ende der Welt
Autoren: Nicolas Barreau
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unglaublich es war – ließ der Schmerz tatsächlich nach, und meine alte
Fröhlichkeit kehrte zurück.
    Seit jenem Sommer habe ich allerdings ein etwas ambivalentes
Verhältnis zum geschriebenen Wort. Jedenfalls, wenn es um Liebe geht.
Vielleicht bin ich deshalb Galerist geworden. Ich verdiene mein Geld mit
Bildern, liebe das Leben, bin schönen Frauen sehr zugetan und lebe in großer
Eintracht mit meinem treuen Dalmatinerhund Cézanne in einem der angesagten
Viertel von Paris. Es hätte nicht besser kommen können.
    Meinen Schwur, keinen Liebesbrief mehr zu schreiben, habe ich
gehalten, man möge es mir nachsehen.
    Ich habe ihn gehalten, bis … ja, bis mir fast genau zwanzig Jahre
später diese wirklich unglaubliche Geschichte passierte.
    Eine Geschichte, die vor wenigen Wochen mit einem höchst
merkwürdigen Brief begann, der eines Morgens in meinem Briefkasten steckte. Es
war ein Liebesbrief, und er sollte mein ganzes wohltemperiertes Leben völlig
auf den Kopf stellen.

2
    Ich sah auf die Uhr. Noch eine Stunde.
Marion kam wie immer zu spät.
    Prüfend schritt ich die Stellwände ab und rückte
»Le Grand Rouge« gerade – eine riesige Komposition in Rot, die das Herzstück
der Vernissage bildete, die um halb acht beginnen sollte.
    Julien kauerte mit einem Glas Rotwein in einem
der weißen Sofas und paffte schon seine elfte Zigarette.
    Ich setzte mich zu ihm. »Na, aufgeregt?«
    Sein rechter Fuß, der in einem karierten Van
steckte, wippte. »Klar, Mann, was denkst du denn?« Er nahm einen tiefen Zug,
und der Rauch stieg vor seinem hübschen jungenhaften Gesicht auf. »Ist immerhin
meine erste richtige Ausstellung.«
    Seine Offenheit war wie immer entwaffnend. Wie er da in
den Kissen hing mit seinem unspektakulären weißen T-Shirt über den Jeans und
seinen kurzen blonden Haaren, hatte er was von einem jungen Blinky Palermo.
    Â»Wird
schon schiefgehen«, sagte ich. »Ich hab schon weitaus größeren Mist gesehen.«
    Das
brachte ihn zum Lachen. »Mann, du kannst einem wirklich Mut machen.« Er drückte
die Zigarette in dem schweren Glasascher aus, der neben dem Sofa auf einem
Tischchen stand, und sprang auf. Wie ein Tiger lief er an den Wänden der
Galerieräume entlang, umkreiste die Stellwände und sah sich seine
großformatigen leuchtenden Bilder an.
    Â»Hey,
so schlecht sind die gar nicht«, meinte er schließlich und schürzte die Lippen.
Dann machte er ein paar Schritte zurück. »Wir hätten nur mehr Platz gebraucht,
dann würde das alles noch besser kommen.« Er gestikulierte dramatisch mit
seinen Händen in der Luft herum. »Platz … Fläche … Raum.«
    Ich
trank einen Schluck Rotwein und lehnte mich zurück. »Ja, ja. Nächstes Mal
mieten wir das Centre Pompidou«, sagte ich und mußte daran denken, wie Julien
vor einigen Monaten zum ersten Mal in meiner Galerie aufgetaucht war. Es war
der letzte Samstag vor Weihnachten, ganz Paris glitzerte in Silber und Weiß,
vor den Museen gab es ausnahmsweise mal keine Schlangen, tout le monde war auf der Jagd nach Geschenken, und
auch bei mir ging die Türglocke den ganzen Tag.
    Ich
hatte drei relativ teure Bilder verkauft und nicht mal an Stammkunden, offenbar
entfachte das bevorstehende Fest bei den Pariser Bürgern die Lust an der Kunst.
Jedenfalls wollte ich den Laden gerade dichtmachen, da stand Julien plötzlich
in der Tür der Galerie du Sud, wie ich meinen kleinen Kunsttempel in der Rue de
Seine getauft habe.
    Ich
war nicht gerade erfreut, das können Sie mir glauben. Nichts ist nervtötender
für einen Galeristen als irgendwelche Kleckser, die ohne einen Termin hereinstolpern,
ihre großen Mappen öffnen und einem das, was sie für Gegenwartskunst halten,
zeigen wollen. Und die sich – bis auf wenige bescheidene Ausnahmen – alle
(alle!) mindestens für den nächsten Lucian Freud halten.
    Eigentlich
habe ich es Cézanne zu verdanken, daß ich dennoch mit diesem jungen Mann ins
Gespräch kam, der seine Kappe tief ins Gesicht gezogen hatte und auf den ich
mittlerweile große Hoffnungen setze.
    Cézanne
ist – ich erwähnte es bereits – mein Hund, ein drei Jahre alter, äußerst
lebendiger Dalmatiner, und ich hege, wie man leicht erraten kann und obwohl ich
mich Tag für Tag liebend gern mit zeitgenössischer Kunst herumschlage, eine
stille
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