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Du findest mich am Ende der Welt

Du findest mich am Ende der Welt

Titel: Du findest mich am Ende der Welt
Autoren: Nicolas Barreau
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Leidenschaft für den französischen Maler gleichen Namens, diesen
genialen Wegbereiter der Moderne. Seine Landschaften sind für mich unerreicht,
und mein größtes Glück wäre es, einen echten Cézanne zu besitzen, und wäre es
der kleinste von allen.
    Ich
wollte Julien also gerade an der Tür abwimmeln, als Cézanne bellend aus dem
Hinterzimmer hervorsprang, mit seinen Pfoten über den glatten Holzboden
schlitterte, an dem jungen Mann im Parka hochsprang und ihm dann unter leisem
Gewinsel hingebungsvoll die Hände leckte.
    Â»Cézanne,
aus!« zischte ich, doch wie immer hörte Cézanne nicht auf mich. Er ist leider
sehr schlecht erzogen.
    Vielleicht
war es eine gewisse Verlegenheit, die mich bewog, dem jungen Mann, der sich nun
mit meinem Hund unterhielt, Gehör zu schenken.
    Â»Angefangen
hab ich in den Vororten – mit Graffiti.« Er grinste. »War ziemlich geil, wir
sind nachts losgezogen und haben gesprayt. Autobahnbrücken, alte Fabrikgelände,
Schulmauern, einmal sogar einen Zug. Aber inzwischen mal ich auf Leinwand,
keine Sorge!«
    Meine
Güte, ein Sprayer war wirklich das, was mir noch gefehlt hatte! Seufzend
öffnete ich die Mappe, die er mit entgegenhielt. Ich blätterte durch das
muntere Durcheinander von Skizzen, gezeichneten Graffiti und den Fotografien
seiner Bilder. Sein Strich war leider nicht schlecht.
    Â»Und?«
fragte er aufgeregt und kraulte Cézanne den Nacken. »Was meinen Sie? In
Wirklichkeit sehen die Bilder natürlich viel besser aus – ich mach nur große
Formate.«
    Ich nickte, und dann blieb mein Blick an einem Bild
hängen, das »Erdbeerherz« hieß. Es zeigte ein langgezogenes Herz, das in der
Mitte eine kaum erkennbare Vertiefung hatte und die Oberfläche einer Erdbeere.
Das »Erdbeerherz« war eingebettet in einen Hintergrund aus kleinen,
dunkelgrünen Blättern und bestand aus mindestens dreißig verschiedenen
Rottönen. Ich hatte bei meinem Freund Bruno, der Arzt und bekennender Hypochonder
ist, einmal eine Digitalaufnahme seines Herzens gesehen, einen Film, der in
einer Diagnoseklinik gemacht worden war. (Sein Herz war übrigens kerngesund!)
In der Tat glich dieser lebenswichtige Muskel mehr einer erdbeerähnlichen
Frucht als den gemalten Herzen und Herzchen, wie sie einem überall begegnen.
    Das »Herz« auf dem Bild des jungen Künstlers hatte
jedenfalls etwas derart Organisch-Fruchtiges, daß man nicht wußte, ob man den
Herzschlag der Erdbeere hörte oder doch lieber hineinbeißen wollte. Das Bild
lebte, und je länger ich es mir anschaute, desto besser gefiel es mir.
    Â»Das
hier sieht interessant aus.« Ich tippte auf das Foto. »Das würde ich gern mal
im Original sehen.«
    Â»Okay,
kein Problem. Ist allerdings zwei mal drei Meter. Hängt bei mir im Atelier. Sie
können jederzeit vorbeikommen. Oder soll ich es herbringen? Ist auch kein
Problem. Ich kann’s Ihnen bringen, heute noch!«
    Â»Um
Gottes willen, nein.« Ich lachte, doch sein Eifer rührte mich. »Ist das
Acryl?«, fragte ich, um etwaigen Gefühlsduseleien aus dem Weg zu gehen.
    Â»Nein,
Öl. Ich mag keine Acrylfarben.« Er schaute einen Moment auf das Foto, und seine
Miene verdüsterte sich. »Hab’s gemalt, als meine Freundin mich verlassen hat.«
Er schlug sich mit der linken Hand gegen die Brust. »Großer Schmerz!«
    Â»Und … KBF, sind das Sie?« fragte ich, ohne auf seine Bekenntnisse einzugehen, und
deutete auf die Signatur.
    Â»Ja,
Mann. C’est moi! «
    Ich
sah auf seine kleine Visitenkarte und zog die Augenbrauen hoch. »Julien
d’Ovideo?« buchstabierte ich.
    Â»Ja,
so heiße ich«, bestätigte er. »Aber ich signiere mit KBF. Ist noch aus der
Graffiti-Zeit, wissen Sie? Kunst braucht Fläche .« Er
grinste. »Ist immer noch mein Motto.«
    Eine
Stunde später als beabsichtigt schloß ich die Tür meiner Galerie ab, nicht ohne
Julien versprochen zu haben, im neuen Jahr in seinem Atelier vorbeizuschauen.
    Â»Mann, cool, das ist echt mein schönstes Weihnachtsgeschenk«,
sagte er, als wir uns verabschiedeten. Ich schüttelte ihm die Hand, er schwang
sich auf sein Fahrrad, und dann spazierte ich mit Cézanne die Rue de Seine
hinunter, um im La Palette noch eine Kleinigkeit zu essen.
    In den ersten Januartagen fuhr ich wirklich zu Julien d’Ovideo
und besuchte ihn in seinem etwas
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