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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez
Autoren: Sam Hawken
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EINS
    »Boxen, das heißt verrauchte Sporthallen und Nieren, die geschlagen werden, bis sie bluten«, hat Roger Kahn geschrieben, aber in Mexiko blutete alles im Ring. Von den Schmerzen ganz zu schweigen.
    Als Kelly Courter noch in den Staaten gekämpft hatte, war er im Weltergewicht angetreten, doch jetzt kämpfte er nicht mehr in den USA, und er war schwerer geworden. Ganz gleich, wie viel er schwitzte und hungerte, aus der Mittelgewichtsklasse kam er nicht mehr heraus. Dem Zuschauer, der die Kohle hinblätterte, war das egal. Unter Druck hätte er vermutlich von »fairen« Kämpfen gesprochen, aber in Wahrheit handelte es sich um reine Prügeleien ohne Gewichtsklassen oder Regeln, abgesehen vom Geld, das den Besitzer wechselte.
    Der mexikanische Junge war schlanker und kräftiger als Kelly, aber genau darum ging es ja: Kelly sollte bloß der Punchingball des anderen Boxers sein. Die Mexikaner sahen gern zu, wie La Raza einen Weißen fertigmachte. Und wenn der Weiße obendrein aus Texas kam, wie Kelly, umso besser.
    Sie umkreisten einander. Kellys Blut besudelte die Zeltplane, er hatte eine Platzwunde über dem rechten Auge und seine Nase tropfte. Vidal, der Cutman in Kellys Ecke, hielt nicht besonders viel von Adrenalin, und Druck allein stoppte die Blutung nicht. Aber die Menge wollte den
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sowieso bluten sehen.
    Kelly ließ die Fäuste fliegen, um den Jungen auf Distanz zu halten. Er landete einen Treffer, aber seine Schläge hatten nicht genügend Wucht, dass sich der Ausgang des Kampfes hätte ändern können. Seine Schultern brannten, ein Wadenkrampf kündigte sich an. Zu Beginn des Kampfes war er herumgetänzelt, aber inzwischen schlurfte er nur noch.
    Sie schlugen abwechselnd aufeinander ein. Kelly bekam die gerade Rechte des Jungen auf den Wangenknochen; als sein Kopf nach hinten geschleudert wurde, hörte er die Halswirbel knacksen. Er traf seinen Gegner in die Rippen, doch die anschließende Linke ging ins Leere. Und dannrückten sie wieder voneinander ab und umkreisten einander. Wenn es Kelly gelang, den Kampf in der Mitte des Rings zu halten, könnte er sich vielleicht sechs Runden auf den Füßen halten.
    Der Gong ertönte. Die Menge war zufrieden. Unter den Ringscheinwerfern schwebte dicht und grau wie ein Schleier eine Schicht Tabakrauch.
    Vidal wischte das Blut von Kellys Gesicht und drückte ein eisgekühltes Tuch auf die größte Wunde. In der anderen Ecke redete der Trainer dem Mexikaner gut zu und versorgte ihn, wie es sich eigentlich gehörte, mit kalten Kompressen und Adrenalinhydrochlorid. Kelly stand kein Trainer zur Seite, denn so wichtig war er nicht, er war nur das Opfer. Vidal hatte einen zehnjährigen Jungen dabei, der sich um den Eimer kümmerte und Kellys Mundschutz kühlte. Kelly bezahlte beiden zehn Mäuse pro Runde.
    »Kannst du was wegen meiner Nase machen?«, fragte er Vidal, als der Mundschutz draußen war. »Ich kann nicht richtig atmen.«
    »Dann lass dir eben nicht mehr ins Gesicht schlagen«, antwortete Vidal, schob Kelly aber ein saugstarkes Wattestäbchen in das linke Nasenloch und tupfte noch einmal das Blut ab. »Hier, zieh das hoch.«
    Kelly schniefte, der Geruch von Alkohol und Blut breitete sich in seinen Stirnhöhlen aus. Ihm wurde übel. Der Junge hielt den Plastikeimer hoch. Aber Kelly spuckte nur hinein, statt sich zu übergeben.
    »Schaffst du es?«, fragte Vidal.
    »In welcher Runde sind wir?«
    »Du kannst dich jetzt jederzeit fallen oder zu Boden schlagen lassen.«
    »Er kann mich zu Boden schlagen.«
    »Dann bist du dumm.«
    Der Gong ertönte. Vidal riss das Wattestäbchen grob aus Kellys Nase, doch sie fing nicht wieder an zu bluten.
    Der Kampf war keine große Sache: An die vierzig Männer standen um den Ring herum, der Raum war eng. Alle hatten etwas zu trinken und rauchten jede Menge Zigarren. Alte mexikanische Gesichter, Runzeln, Doppelkinne, dunkle Augen, die im Schatten eines Kampfes noch dunkler wurden, sodass ein Kämpfer, der über die Seile hinausschaute, nur dutzende tote, regungslose Löcher erblickte.
    »Délo a la madre!«
    Gib ihn der Mutter.
Frei übersetzt hieß das:
Tritt ihn in den Arsch.
    Der mexikanische Junge stürzte sich sofort auf Kelly, sein erster Schlag traf ihn brutal. Vielleicht war Kelly abgelenkt, vielleicht auch langsamer, als er geglaubt hatte, jedenfalls ging der Hieb zwischen seinen Händen hindurch und traf ihn mitten auf die Stirn. Der Treffer hätte ihn nicht so erschüttern sollen, doch er tat es.
    Kelly wich
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