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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell
Autoren: Zoran Drvenkar
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Zwischen demTürrahmen und der Haustür ist etwas Raum. Ich stelle mich in diesen Raum und ziehe dieTür hinter mir zu.
    Stille. Die Ruhe von Schnee. Die Geräusche aus dem Haus. Val und Theo, die durch das Fenster steigen und sich wundern, wo ich geblieben bin.
    Ich lehne mit dem Rücken an der Haustür, meine Knie drücken gegen die Schneewand.
    Jeden Moment erwarte ich, daß sich dieTür öffnet. Jeden Moment erwarte ich, daß die Schneewand näher kommt und mich erdrückt. Ich spüre, wie ich anfange, panisch schneller zu atmen. Und dann ist da nichts mehr. Schwärze in meinem Kopf, alle Gedanken verschwinden darin.

    2

    Als ich wieder zu mir komme, ist mein Gesicht in den Schnee gedrückt und ich schnappe hektisch nach Luft. Ich beruhige mich nur langsam. Ich weiß nicht, wieviel Zeit vergangen ist. Die Haustür ist noch immer in meinem Rücken, die Schneewand vor mir. Meine Knie schmerzen, und ich habe das Gefühl, daß die Dunkelheit um mich herum nur darauf wartet, daß ich wieder in sie versinke. Ohne zu zögern, fange ich an zu graben.
    Ich grabe unermüdlich. Sobald ich eine Pause einlege, fühlt es sich an, als würde mich diese Masse aus Schnee umschließen. Also hacke ich mit den bloßen Händen auf sie und hoffe, daß sie nicht über mir zusammenbricht. Angst treibt mich an. Die Dunkelheit ist vor mir, ich schaufle sie zur Seite und...
    ... höre ein Geräusch hinter mir, lasse die Hände sinken, horche.
    Es kann der Schnee sein, der langsam nachgibt.
    Ich lege den Kopf schräg.
    Es bleibt still.
    Was werden Val und Theo tun, wenn sie herausfinden, daß ich diesen Tunnel hier grabe?
    Ich sehe zurück. Auch da ist nur Dunkelheit, wohin ich auch blicke, kein Licht. Ich zögere nicht mehr und grabe weiter, robbe Zentimeter um Zentimeter auf den Knien voran, während mein Hirn unaufhörlich darüber nachdenkt, warum Jenni und Asta sterben mußten. Gab es einen Streit? Was hatten sie getan, daß Val so weit ging, sie zu töten?
    Warum nur, Val?

    Als ich den Schneetunnel verlasse, ist es noch immer Nacht und windstill. Meine Hände bluten und sind gefühllos. Der Schmerz kommt erst, als sie wieder warm werden.
    Mein Wagen steht an derselben Stelle, an der ich ihn geparkt habe. Die Türen sind verschlossen, der Kofferraum aber offen. Keine Ahnung, was ich getan hätte, wenn auch der Kofferraum verschlossen gewesen wäre.
    Minutenlang lehne ich gegen den Wagen und versuche, zu Atem zu kommen. Dann klappe ich den Rücksitz nach vorne und krieche über den Kofferraum hinein. Meine Reisetasche befindet sich auf dem Beifahrersitz. Pullover, T-Shirts, Hosen. Ich breite alles über mir aus und liege zitternd darunter. Knie an die Brust gezogen, Arme über dem Kopf. Ich will nichts weiter, als hier liegen und langsam verschwinden. Mit der Umgebung verschmelzen. Unauffindbar.

3

    Ein Dröhnen weckt mich. Orange Lichter tanzen durch den Wagen. Ich habe das Gefühl, daß der Boden bebt und bin für einen Moment völlig desorientiert. So muß sich Val oft gefühlt haben. An einem fremden Ort erwachen und keine Ahnung haben, wer man ist. Ich setze mich auf. Die Sonne scheint blaß über der Landschaft. Ich kurbele das Seitenfenster herunter und strecke den Kopf hinaus. Das Dröhnen kommt von einem Schneeschieber, der sich die Anhöhe hochkämpft und einige Meter vor meinem Wagen stehenbleibt. Der Fahrer sieht mich und winkt. Es ist nicht derselbe Fahrer, dem ich gestern nacht gefolgt bin. Ich winke zurück und ziehe mir zwei Pullover über. Meine Hände sind geschwollen, mir schmerzt jeder Muskel. Die Luft weht schneidend durch das Fenster herein, ich spüre, wie mein Kopf sich klärt. Der Fahrer läßt den Motor laufen und stapft über den Schnee zu mir.
    -Verdammt schön kalt, um im Auto zu schlafen, sagt er.
    -    Kleiner Streit, antworte ich und zeige auf meine Nase.
    Der Mann spuckt aus.
    -    Das ist das Wetter. Da haßt jeder den anderen. Kann nur hoffen, ich habe keine Unannehmlichkeiten gemacht. Konnte gestern früh nicht kommen. War der reinste Wahnsinn.
    Ich sehe ihn nur an, ich habe keine Ahnung, wovon er spricht.
    —    Sollte einen Wagen hier rausziehen, komme ich zu spät?
    Er schaut in die Landschaft, ich schaue zum Tunnel, den
    ich in der Schneewehe hinterlassen habe.
    —    Schon weg, sage ich.
    -Was?
    —Wir haben den Wagen schon rausgezogen.
    —    Oh, das ist gut, dachte schon, ich hätte Mist gebaut. Ich mach Ihnen mal schnell den Weg frei, mehr Schnee wird es heute nicht geben.
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