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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell
Autoren: Zoran Drvenkar
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ich heule. Ich kenne diese Frau, ich kenne sie angezogen und nackt, ich kenne sie lachend und voller Wut; ich kenne sie mit ihren Macken, Leidenschaften und Träumen. Und jetzt weiß ich nicht, wen ich vor mir habe. Das hier ist sie, und das hier ist sie nicht mehr.
    Ich nehme ihre Hände in meine und trenne die Handgelenke.
    —    Oh, danke, danke, sagt Val und streichelt mir über das Gesicht, Das ist so lieb von dir, danke, danke.
    Dann kniee ich mich hin und berühre ihre Fußgelenke. Die Haut ist blutverkrustet, hier und da sind Buchstaben eingeritzt, an einigen Stellen fehlt die Haut völlig. Wie konnte sie sich das nur antun?
    . Ich löse die Fußknöchel voneinander. Es gibt ein unangenehmes Geräusch, weil sie durch das eingetrocknete Blut zusammenkleben.
    —    Du bist frei, sage ich und blicke auf. Val schlägt sich die Hände vors Gesicht. Sie lacht, sie lacht so sehr, daß ihr Bauch wackelt.
    —    Ich bin frei! höre ich sie sagen, Ich bin endlich frei!
    Plötzlich wird sie ernst und ergreift meine Hände.
    -Wenn wir einmal ein Kind haben, ja, versprichst du, versprichst du, versprichst du, daß du es mir nicht wegnimmst?
    Mein Hals ist zugeschnürt, ich nicke.
    —    Ja, ich verspreche es.
    —    Niemand wird es mir wegnehmen?
    —    Niemand, sage ich.
    Val küßt meine Fingerspitzen. Ich berühre ihr Gesicht, beruhige das Zucken und Zittern, drücke sie langsam in deii Sessel.
    —    Lehn dich zurück, Val, schließ deine Augen.
    Sie hört auf mich, atmet tief ein, schließt die Augen.
    Ich finde im Flur zwei Decken. Als ich damit ins Wohnzimmer zurückkomme, hat sich Val auf dem Sessel zu einem
    Ball zusammengerollt. Ich höre sie leise summen, streichle ihr über den Kopf und wickle sie in die Decken ein.
    - Ich bin gleich da, sage ich und gehe zum Sofa, Theo?
    Ich hocke mich hin und berühre ihn an der Schulter. Ich habe keine Ahnung, wie er reagieren wird, und ob er mich noch immer für einen von den Schnellen hält.
    Theos Kopf rollt nach rechts. Ich sehe das Blut an seinem Ohr und will mich abwenden. Ich will das nicht tun, ich muß das nicht tun, dennoch ziehe ich den Schlafsack herunter.
    Die Wunde geht hoch bis zum Brustkorb. Seine Hände liegen um den Griff des Jagdmessers — nicht, als würden sie das Messer herausziehen wollen, eher so, als würden sie es halten.
    Ich breite den Schlafsack wieder über ihm aus und stehe auf. Ich kann nicht reagieren, in mir macht sich eine Traurigkeit breit, die keine Reaktion zuläßt. Ich möchte mich auf den Boden legen und wie Val zusammenrollen. Ich will im Kamin ein Feuer machen, aufräumen und Theo und Val zu einem normalen Tag wecken. Für einen Moment glaube ich, wenn ich in die Küche gehe und Wasser aufsetze, werden die beiden im Türrahmen auftauchen und fragen, was es zum Frühstück gibt.
    Eine Viertelstunde lang hänge ich über dem Klo, aber nichts kommt heraus. Mein Magen ist ein einziger Krampf, und anstatt mich zu übergeben, heule ich in die Kloschüssel.
    Ich finde meine Stiefel unter dem Stuhl, auf dem mein Mantel liegt. Nachdem ich die nassen Socken abgestreift habe, steige ich barfuß in die Stiefel, ziehe mir den Mantel über und verlasse das Haus durch das Fenster.
    Der Wagen springt überraschend schnell an, macht aber ein komisches Geräusch. Ich steige aus und schaue hinten nach. Der Auspuff ist mit Schnee verstopft. Ich befreie ihn, wische den Schnee von der Windschutzscheibe und steige wieder ein. Erst als die Temperatur im Wagen angenehm ist, kehre ich zum Haus zurück.
    Ich weiß, daß Val und Theo von irgendwoher immer Holz geholt haben, und finde den Schuppen knappe dreißig Meter vom Haus entfernt. Auch er ist eingeschneit und steht fast unsichtbar in der Landschaft. Vor dem Eingang liegt ein umgeworfener Weidenkorb. Ich sammle das Holz ein und sehe ein Glitzern im Schnee. Es ist Theos Brille. Ich stecke sie in meinen Mantel und trage das Holz zum Haus.
    Von Val ist kein Summen mehr zu hören, sie schläft. Ich bleibe vor Theo stehen und weiß nicht, ob ich das Jagdmesser rausziehen soll oder nicht. Ich finde es wichtig, die richtige Entscheidung zu treffen.
    - Was für einen Unterschied macht es schon? sage ich halblaut und beschließe, das Messer stecken zu lassen.
    In der Küche finde ich außer der Zeitschrift auch einen kleinen Stapel Zeitungen. Ich bringe sie ins Wohnzimmer und gehe noch zweimal Holz aus dem Schuppen holen. Danach lege ich um Theo und das Sofa herum einen Kreis aus
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