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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell
Autoren: Zoran Drvenkar
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Holzscheiten. Abwechselnd kommt immer ein Haufen Zeitungspapier dazwischen.
    Als ich fertig bin, stehe ich eine ganze Minute einfach nur da und zähle rückwärts bis Null. Ich denke dabei nichts, ich habe keine Rede vorbereitet. Ich habe es schon immer gehaßt, wenn während eines Vereinsspiels der Schiedsrichter eine Schweigeminute ausrief. Da standen wir dann, 22 Jungs in kurzen Hosen und Gras am Knie und hatten keine Ahnung, wie wir uns verhalten sollten. Außer stillstehen, ernst schauen, kaum atmen. Für sechzig Sekunden denke ich jetzt nur an Theo, denke seinen Namen. Ich kann nicht an Jenni oder Asta denken, weil ich die beiden nicht kannte. Ich denke an Theo. Ich sehe ihn vor mir, wie er mir in der dun-klen Küche gegenüber sitzt. Ich sehe ihn wütend, wie er mich schlägt. Und ich sehe ihn erleichtert, wie er mir von Jenni erzählt. Dann bin ich bei Null angekommen, nehme die Brille aus meiner Manteltasche und setze sie Theo auf.
    Es ist Zeit.
    Ich steige aus dem Kreis und drehe meine Runde um das Sofa. Was ich berühre, geht in helle, klare Flammen auf.
    Ich hebe Val mitsamt den zwei Decken vom Sessel. Sie liegt leicht auf meinen Armen, als wäre sie nicht wirklich da. Als hätte ich sie damals in Berlin vergessen und nur ihre Hülle mitgenommen.
    Es gelingt mir, mit Val durchs Fenster zu steigen, ohne daß sie dabei wach wird. Ich lege sie auf den Rücksitz meines Autos, steige ein und fahre langsam vom Grundstück, ohne mich umzusehen. Die Reifen knarren auf dem Schnee. Der Wagen schert zweimal aus, dann bin ich auf der gestreuten Straße.
    Hinter mir wächst ein Schatten in den klaren Tag hinauf. Ich verstelle den Rückspiegel, die Flammen schlagen aus den Fenstern, dichter Qualm ragt gerade in den Himmel, nur die Schneewehe an der Häuserfront ist noch weiß und unberührt und verbirgt eine Tür, die es bald auch nicht mehr geben wird. Ich verstelle den Spiegel wieder und hoffe, ich habe das Richtige getan. Ich sage mir, ich habe das Richtige getan. Ich habe.

    Wenn ich ehrlich bin, dann möchte ich einer von diesen Helden sein, die sich eines Menschen annehmen und ihn beschützen. Vor allen Krankheiten, vor Unglücken und Flüchen bewahren. Ich wünschte, ich könnte den Mut und die Kraft aufbringen, an das Gute im Menschen zu glauben. Ich wünschte, ich wäre ein Optimist. Oder einfach jemand anders. Aber ich bin es nicht, ich werde es nie sein. Kein Held, kein Beschützer und kein Optimist.
    Val schläft auf dem Rücksitz. Es ist ein klarer Wintermorgen, und die Landschaft um uns herum schimmert in einem silbernen Licht. Wenn ich mich vorbeuge, sehe ich die Sonne als trüben Kreis über den Strommasten hängen. Sie hat für mich keine Bedeutung, sie ist einfach nur eine weit entfernte Sonne, die nicht wärmt.
    Ich öffne das Fenster, um die Kälte zu spüren. Wind peitscht durch das Wageninnere und macht mein Gesicht gefühllos. Dennoch lasse ich das Fenster offen, obwohl mir Tränen aus den Augen laufen und ich die Straße kaum noch sehen kann.
    Ich versuche mir vorzustellen, wie ich Val in einer Anstalt besuche. Ich höre mich von Hoffnung und Zukunft reden, höre mich Mut machen. Dann stelle ich mir vor, wie Vals Blick langsam bricht, wie sie in kleine Teile zerfällt und Jahr für Jahr weniger wird. Und dann versuche ich mir vorzustellen, wie mein Leben seinen Lauf nimmt. Ohne Val. Ohne eine Spur der letzten Tage. Eine andere Frau. Neue Geschichten und Räume, eine vollkommen neue Welt. Beide Gedankengänge schmerzen. Sie passen nicht zusammen und haben ein bitteres Aroma, so daß ich Galle im Gaumen schmecke und aus dem Fenster spucke.
    Ich weiß nicht, was genau ich machen werde. Ich weiß nur, was auch immer ich tue, zum Schluß hin wird es wie ein sanfter Selbstmord aussehen. Das bin ich Val schuldig. Es muß in Sanftheit enden.
    ENDE
    Gregor Tessnow
    für die Unermüdlichkeit, mit der du meine Arbeit liest, und den Humor, ohne den das Schreiben nicht möglich wäre
    &
    Selim Özdogan
    für die Telefongespräche, das richtige Feeling und diesen bestimmten Grad an Lässigkeit, ohne den wir Schriftsteller nicht möglich wären
    &
    Max Dorner
    für die Begeisterung, das Wissen um mehr und das präzise Auge, ohne das eine Menge unentdeckt geblieben wäre
    &
    Beate Köhler
    für die Tips und Korrekturen, was das Medizinische angeht, und die Geduld, ohne die man einen Schriftsteller nicht ertragen könnte &
    Chuck Palahniuk, Majgull Axelsson, John Sandford für ihre Bücher, die mich in den
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