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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell
Autoren: Zoran Drvenkar
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Haus ist ausgegangen.
    —    Sicher sind nur die Kerzen abgebrannt, sage ich, aber es klingt vage und so, als ob ich es selbst nicht glauben würde.
    Val schüttelt den Kopf. Sie läßt ihre Zigarette fallen und rennt auf das Haus zu. Ich folge ihr, überhole sie und steige als erster durch das Fenster. Dann stehen wir beide im Wohnzimmer und schauen uns um. Es gibt nicht viel zu sehen. Alles ist wie vorher. Minus die brennenden Kerzen. Und minus Marek, der aus dem Sessel verschwunden ist.

VAL
1
    Als wir im Wohnzimmer stehen und den leeren Sessel sehen, habe ich für einen Augenblick das Gefühl, daß Theo und ich uns mit dem Haus auf einer Reise befinden. Wenn ich mich umdrehe und aus dem Fenster sehe, dann wird da nichts sein. Keine verschneite Landschaft, sondern nur das Weltall, ohne Sterne oder irgendwelche Sonnen, die reinste Schwärze.
    Ich kneife die Augen zusammen, öffne sie wieder. Theo leuchtet mit der Taschenlampe. Auf dem Boden vor dem Sessel hegen das Kabel und der Gürtel, mit denen ich Marek gefesselt habe. Theo richtet den Lichtstrahl in das Wohnzimmer.
    —    Er muß noch im Haus sein, sagt er, Sein Mantel und die Stiefel sind noch da, ohne würde er draußen sofort erfrieren.
    Er greift sich den Schürhaken, während ich mit nervösen Händen eine neue Kerze aus dem Schrank nehme und aufstelle.
    —Was tust du?
    —    Ich halte das nicht aus, wenn es so dunkel ist, sage ich.
    Wir beginnen das Haus zu durchsuchen. Wir arbeiten
    uns vom Erdgeschoß hoch zum Dachboden und leuchten mit den Taschenlampen in jeden Winkel. Marek bleibt verschwunden. Keines der Fenster steht offen.
    —    Auch wenn wir ihn nicht sehen, kann er überall sein, sage ich, als wir wieder im Wohnzimmer ankommen.
    -Wie meinst du das?
    —    Er ist so schnell, daß er direkt neben uns stehen könnte, und wir würden es nicht merken.
    —    Das ist nicht witzig, Val.
    —    Das war auch nicht witzig gemeint, erwidere ich.
    -Vielleicht sollten wir doch mehr Licht machen, sagt Theo.
    Innerhalb von ein paar Minuten haben wir die abge-
    brannten Kerzen ausgetauscht. Alles sieht aus wie vorher, nichts ist mehr gleich.
    Ich schließe mich im Bad ein und sitze auf dem heruntergeklappten Toilettendeckel. Ich habe die Knie an die Brust gezogen und wünschte, ich wäre eine von diesen Frauen, die in ein Koma fallen und nach zehn Jahren in einem sauberen Krankenhaus erwachen. Und alle weinen und freuen sich, daß sie wieder da ist. Ich würde viel dafür geben.
    Als ich mich beruhigt habe und das Bad verlasse, sitzt Theo auf dem Sofa und hat den Schürhaken auf den Knien liegen.
    -Wenn sie Marek geholt haben, sage ich, Dann lassen sie uns vielleicht in Ruhe.
    —    Deswegen sind wir nicht hier, Val. Ich gehe nicht, ohne Jennis Mörder gesehen zu haben. Außerdem glaube ich nicht, daß sie uns in Ruhe lassen. Sie haben uns die Messer und die Axt abgenommen, sie wollen etwas.
    Ich setze mich zu ihm. Wir starren ins Feuer. Zwei Holzscheite sind noch da.
    -Wir müssen bald Holz holen, sage ich.
    Theo rührt sich nicht.
    —Theo?
    Er sieht mich an. Er hat Tränen in den Augen.
    —    Ich glaube, ich werde heute Nacht jemanden töten.
    Ich kann das verstehen. Ich möchte jedem einzelnen
    Schnellen die Worte in die Brust schneiden, die sie mir in die Arme geritzt haben.
    -Wir kriegen sie, sage ich und lege meine Hand auf seine Brust. Theos Herz rast, sein Atem geht so schwer, als wäre er eben gerannt. Ich kann spüren, wie mich das erregt, und bin überrascht, daß ich jetzt an Sex denke. Hier im Halbdunkeln, in dieser Situation. Ich möchte Theos Hose öffnen, ich möchte mich auf ihn setzen und nichts anderes mehr spüren als---
    —    Nicht jetzt, sagte Theo und umschließt mein Handgelenk, Wir müssen Holz holen.

    Es gefällt mir nicht, das Haus schon wieder zu verlassen. Auch wenn der Schuppen höchstens dreißig Meter entfernt ist. Das letzte Mal, als wir draußen waren, verschwand Marek.
    Da wir keine Axt mehr haben, suchen wir im Schuppen passende Stücke für den Kamin, sammeln Reste vom Boden auf und füllen den Weidenkorb. Durch den Türrahmen blicke ich immer wieder zum Haus zurück. Ich will nicht, daß mir etwas entgeht, ich will vorbereitet sein.
    -Warum hat Marek das getan? sagt Theo irgendwann und richtet sich auf. Es ist das erste, was er sagt, seitdem wir hier draußen sind. Ich weiß keine Antwort. Marek ist mir ein Rätsel, und tief in mir schmerzt es, daß er so mit mir spielt.
    —
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