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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell
Autoren: Zoran Drvenkar
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dem Land. Sie gab mir den Namen von einem Kaff. Dort bin ich hingefahren und habe herumgefragt. Ich hatte Glück, daß einer der Schneeschieber seine letzte Runde in der Gegend hier machen wollte. Er hat mir beinahe den ganzen Weg bis zum Haus freigemacht, es hat Stunden gedauert...
    Er hustet, zieht die Nase hoch.
    —    ... ich war in Kassel beim Arzt. Irgendwas stimmt nicht mit mir. Ich sehe Dinge, die nicht da sind. Ich hatte Angst durchzudrehen. Seit Tagen habe ich vielleicht zwei Stunden durchgeschlafen. Ich war in Panik, ich wollte nicht in einer Klapse enden.
    -    Und? frage ich.
    -Was und?
    —Was hat der Arzt gesagt?
    -    Du glaubst mir nicht, daß ich beim Arzt war?
    -    Marek, ich glaube dir kein einziges Wort, antworte ich, Deine Geschichte stinkt von vorn bis hinten.
    -    Theo, könnte ich mit dir allein reden? Ich kann das nicht, wenn sie mich andauernd anstarrt, ich ...
    Ich sehe zu Val, sie hat sich aufgerichtet und betrachtet Marek mit schräggelegtem Kopf, als gäbe es mehr zu sehen als nur Marek.
    -Alles okay? frage ich sie.
    Val nickt, ohne den Blick abzuwenden.
    —    Du hast mich angelogen, sagt sie, Du hast mit den
    Schnellen---
    —    Wie kannst du nur glauben, daß ich etwas mit den Schnellen zu tun habe? unterbricht sie Marek.
    —    Das ist nicht alles, sagt Val, Du hast nicht nur etwas mit ihnen zu tun, du bist einer von ihnen.
    Marek fängt an zu lachen.
    Ich wollte das nicht tun, ich wollte das wirklich nicht tun. Meine Hand schmerzt bis hoch zum Ellenbogen. Es fühlt sich an, als wären die Knöchel gebrochen.
    Marek ist wieder ohnmächtig. Seine Nase ist schief und geschwollen. Sie wirkt deplaziert in seinem Gesicht. Val ist ins Bad gerannt und hat einen Lappen naß gemacht, während ich aus dem Fenster kletterte, um meine Hand in den Schnee zu halten. Kaum war ich draußen, hat mich der Sturm voll erwischt, und ich mußte mich gegen die Hauswand lehnen, um nicht umzufallen.
    Und da hocke ich jetzt — die rechte Hand im Schnee, die Sicht verschleiert von den nassen Brillengläsern und diesem tobenden Sturm - und fluche und heule gleichzeitig. Ich kann nicht glauben, daß alles so einfach gewesen ist. Marek. Ich will es nicht glauben. Und was mir am meisten Sorgen macht, ist die Tatsache, daß das noch längst nicht alles war. Der schlimmste Teil steht uns bevor. Was tun wir, wenn die Schnellen auftauchen, um Marek zu befreien?

    - Ihr wollt was?
    Mareks Stimme klingt dumpf, er kann nicht durch die Nase atmen.
    —    Wir tauschen dich gegen den Killer ein, sage ich und stochere im Feuer herum,
    —    Falls du nicht selbst der Killer bist, spricht Val weiter.
    —    Bist du es? frage ich und bin überrascht, wie ruhig meine Stimme klingt. Mich verrät nur, daß ich Marek nicht ansehen kann.
    —    Ich bin es nicht, sagt Marek, jedes Woft betonend.
    —    Gut, sagt Val, Dann tauschen wir dich ein.
    Ich schaue kurz zu Marek. Er hat den Mund geöffnet, sagt
    dann aber doch nichts, sondern schüttelt nur den Kopf und senkt das Kinn auf die Brust.
    Geschlagen, denke ich.

2

    Wir warten.
    Der Schneeschieber kommt nicht. Es wird Mittag, dann Nachmittag, und der Schneeschieber läßt sich noch immer nicht blicken. Der Sturm hat wahrscheinlich den ganzen Landstrich lahmgelegt. Der Schnee fallt unermüdlich. Er wird immer wieder in Böen vorangetrieben, so daß ich den Eingang zum Holzschuppen freischaufeln muß. Auch wenn ich wollte, ich könnte meinen Wagen jetzt nicht mehr finden. Da draußen herrscht das Chaos, und ich bereue es, kein Radio zu haben. Es wäre angenehm, eine fremde Stimme zu hören, die über Belangloses redet.
    —    Es wird bald vorüberziehen, sagt Val und wendet sich vom Fenster ab, Solche Stürme dauern nie lange, morgen klart es auf.
    Wir sitzen in der Küche, denn die Küche ist neutrales Territorium, Marek kann uns hier nicht hören.
    -    Ich habe das Gefühl, wir sind in der Antarktis, sage ich.
    Der Strom ist noch immer weg, der Elektroherd nutzlos,
    und der Kühlschrank taut auf. Wir horchen auf den Wind und Geräusche aus dem Wohnzimmer. Wir sind ständig in Alarmbereitschaft. An meinem Gürtel trage ich ein Jagdmesser, das mir mein Vater vor einigen Jahren geschenkt hat. »Das ist das ideale Messer zum Ausweiden«, hat er gesagt, »Du wirst die reine Freude daran haben.« Er wollte mit mir zur Jagd gehen, aber aus der Jagd wurde nichts, weil ich mich noch im selben Jahr als Vegetarier outete. Seitdem
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