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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell
Autoren: Zoran Drvenkar
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Antwort. Das Rascheln wiederholt sich, etwas schabt rauh über eine Wand, ich sehe für Sekunden Funken auf-sprühen.
    -    Es sind drei, höre ich Val flüstern.
    Wieder eine Bewegung, dieses Mal neben mir, etwas berührt mich am Arm, ich schrecke zurück und schlage zu, hämmere einmal, zweimal gegen die Wand, höre den Putz rieseln, höre mich selbst keuchen.
    -    Kannst du sie sehen? frage ich.
    -    Sie sind zu schnell, sagt Val und schreit plötzlich auf.
    -Val?!
    Ich höre sie wimmern, ich kann noch immer nicht sagen, wo sie ist. Ich will still sein und brülle los:
    -    IHR VERDAMMTEN SCHWEINE! WAS SEID IHR NUR FÜR FEIGE SCHWEINE?! WENN EINER VON EUCH ETWAS MIT JENNIS TOD ZU TUN HAT, DANN SOLL ER SICH MIR STELLEN, DAMIT WIR ES ZU ENDE BRINGEN!
    Wieder keine Antwort. Hastige Schritte, das Quietschen des Sofas, Geflüster. Ich wünschte, ich könnte in der Dunkelheit sehen.
    -Theo, paß auf.
    -    Ich paß schon ...
    Etwas bewegt sich auf mich zu, ich blinzle, es ist wieder weg. Ich mache einen Schritt nach vorn, halte den Schürhaken wie ein Schwert. Wieder eine Bewegung, direkt vor mir. Ich gehe darauf zu, es weicht zurück, ich gehe näher ran, werde schneller, entschlossener — dann ist es verschwunden.
    Ich sehe mich um und begreife, was ich für einen Fehler gemacht habe. Die Wand, ich hätte die Wand nicht verlassen sollen. Hastig mache ich ein paar Schritte nach hinten. Der Rücken muß gedeckt bleiben, das sieht man in jedem Actionfilm, ich muß meinen Rücken---
    Ich drehe mich um und will zur Wand laufen, da sehe ich eine Bewegung aus der Dunkelheit heraus. Jemand kommt auf mich zugerannt. Ich will zurückweichen, ich bin zu langsam, spüre den Schmerz und sehe hinunter. Das Messer ist bis zum Anschlag in meinem Bauch verschwunden. Es gibt einen Ruck, als es hochgezogen wird. Es fühlt sich an, als ob tief in mir ein Knoten durchtrennt worden wäre. Ein Gefühl der Erleichterung. Ich falle auf die Knie,
    falle zur Seite und spüre
    den Aufschlag nicht
    spüre nur die
    Ruhe und Zufriedenheit
    Es ist so
    angenehm
    daß es im Dunkeln geschieht
    Es ist nicht falsch
    und es ist nicht richtig
    Es ist
    Wie oft habe ich schon
    mit Freunden rumgealbert
    wie das Ende wohl
    aussehen wird
    An Dunkelheit habe ich nie gedacht
    Ich hätte an Dunkelheit denken sollen
    Dunkelheit
    ist das richtige Ende
    weiß nicht, ob ich
    liege
    spüre nichts mehr
    dann bewegt sich
    ein Schatten über mir
    und senkt sich langsam
    auf mich herab
    eine Stimme füllt meinen
    Kopf
    einatmen
    ausatmen
    — Du bist zu langsam.
    Klar und
    deutlich
    Die Stimme löst sich auf
    das Atmen verschwindet
    der Schatten schwebt wieder
    über mir    und
    senkt sich dann    auf
    mich herab
    Das ist der Tod
    denke ich
    Ich blinzle
    ich sehe
    Wir sind von
    Angesicht
    zu Angesicht
MAREK
1
    Als ich klein war, gehörte ich zu den Nieten, wenn es ums Versteckspielen ging. Ich war mir sicher, daß mich niemand sehen konnte, wenn ich ihn nicht sah. Also hing immer mein Bein oder mein Fuß irgendwo raus. Die anderen Kinder hatten leichtes Spiel mit mir. Irgendwann fing ich an, mir Verstecke zu suchen, auf die keiner kam. Es waren keine erlaubten Verstecke. Es waren Orte, an denen man nicht suchte, weil sie nicht zum Spiel gehörten. Einmal lief ich über die Straße und ging eine Nachbarin besuchen. Einmal setzte ich mich in die Badewanne, häufte dreckige Wäsche über mich und schlief ein. Und einmal saß ich festgebunden auf einem Sessel und arbeitete unermüdlich an den Knoten, bis ich sie aufbekam. Und dann blieb ich weiter sitzen. Und das war der schwierige Part. Weiter sitzen zu bleiben und nicht wie ein Blöder aufzuspringen und Frei! Ich bin frei! zu rufen.

    Ich habe es aufgegeben, mit Worten an Theo heranzukommen. Meine Warnungen bringen nichts. Als die beiden aus dem Haus gehen, um nach Spuren zu suchen, befreie ich mich von den Fesseln. Val hat sich zwar Mühe gegeben, doch ich hatte genug Zeit, die Knoten zu lockern. Was jetzt? Durchs Fenster kann ich nicht verschwinden, sie würden mich sofort sehen. Während ich überlege, was ich tun soll, brennen die letzten zwei Kerzen herunter und erlöschen. Gleichzeitig. Dann höre ich Val und Theo auf das Haus zurennen.
    Mir ist klar, daß es keine gute Idee ist, sich in einem der Zimmer zu verstecken, sie würden mich garantiert finden, also taste ich mich durch die Dunkelheit auf die Haustür zu und ziehe sie auf. Strahlendes Weiß leuchtet dahinter. Eine Wand aus Schnee.
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