Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dshamila

Dshamila

Titel: Dshamila
Autoren: Tschingis Aitmatow
Vom Netzwerk:
beladen! Eine ganze Stunde schreien wir bereits nach dir, und du hörst nicht! Was machst du denn hier? Was ist das?" fragte sie und nahm die Zeichnung. „So!" Sie zuckte ärgerlich mit den Schultern.
    Ich hätte in die Erde versinken mögen. Dshamila betrachtete das Bild sehr lange, dann sah sie mich mit traurigen, feuchten Augen an und sagte leise: „Gib mir das, Kitschinebala. Ich will es mir zum Andenken aufheben." Sie faltete das Blatt zusammen und steckte es hinter ihr Brusttuch.
    Wir fuhren schon auf den Weg hinaus, und ich konnte noch immer nicht zu mir kommen. Wie im Traum war das alles geschehen. Ich wollte nicht glauben, daß meine Zeichnung dem ähneln sollte, was ich gesehen hatte. Doch tief im Herzen empfand ich schon ein naives Frohlocken, ja Stolz, und neue Träume, einer verwegener und verlockender als der andere, verwirrten$ mir den Sinn. Schon wollte ich viele verschiedene Bilder schaffen, und nicht mit dem Bleistift, sondern in Farben. Es fiel mir gar nicht auf, daß wir sehr schnell fuhren. Danijar trieb seine Pferde an, und Dshamila blieb nicht zurück. Sie sah sich oft um, manchmal lächelte sie gerührt und schuldbewußt. Das machte mich froh: Sie ärgerte sich also nicht mehr über Danijar und mich, und Danijar würde heute bestimmt wieder singen, wenn sie ihn darum bat. Wir erreichten die Bahnstation diesmal bedeutend früher als sonst, dafür waren die Pferde naß von Schweiß. Ohne eine Ruhepause machte sich Danijar daran, die Säcke abzuladen. Warum er es so eilig hatte und was in ihm vorging, war schwer zu begreifen. Jedesmal, wenn ein Zug vorüberfuhr, blieb er stehen und schickte ihm einen langen, nachdenklichen Blick nach, und Dshamila sah ebenfalls hin, als wollte sie ergründen, was ihn bewegte.
    „Komm doch mal her. Das Hufeisen hier ist locker, hilf mir, es abzureißen", bat sie ihn.
    Danijar klemmte den Huf zwischen seine Knie und riß das Eisen ab. Als er sich wieder aufrichtete, sah Dshamila ihm in die Augen und sagte leise: „Was hast du denn? Kannst du nicht verstehen? Gibt es denn nur mich auf der Welt?"
    Danijar blickte schweigend weg.
    „Denkst du, mir fällt es leicht?" Dshamila seufzte.
    Danijars Brauen hoben sich, er sah Dshamila liebevoll und bekümmert an und sagte etwas, doch so leise, daß ich es nicht verstand. Dann ging er, offenbar beruhigt, ja zufrieden, zu seinem Wagen zurück. Dabei strich er ein paarmal zart über das Hufeisen. Ich sah ihn an und begriff nicht, wieso ihn Dshamilas Worte getröstet hatten. War das denn ein Trost, wenn jemand mit schwerem Seufzer sagte: „Denkst du, mir fällt es leicht?"
    Wir waren schon mit dem Entladen ‚fertig und wollten eben zurückfahren, da kam ein verwundeter Soldat auf den Hof. Sein Gesicht war eingefallen, er trug einen verknüllten Uniformmantel und hatte einen Soldatensack auf dem Rücken. Wenige Minuten vorher war auf dem Bahnhof ein Zug angekommen. Der Soldat sah sich nach allen Seiten um und rief: „Ist hier jemand aus dem Ail Kurkurëu?"
    „Ja, ich!" antwortete ich und überlegte, wer das sein könnte. „Zu welcher Familie gehörst du denn, Freundchen?" fragte der Soldat. Er wandte sich mir zu, doch da erblickte er Dshamila, und er lächelte freudig überrascht.
    „Kerim, du?" rief Dshamila.
    „Dshamila, Schwester!" Der Soldat stürzte auf sie zu und drückte ihr fest die Hand. Es erwies sich, daß er ein Verwandter Dshamilas war.
    „Das trifft sich ja gut! Als ob ich's geahnt hätte, bin ich noch mal umgekehrt!" erzählte er aufgeregt. „Ich komme nämlich gerade von Sadyk, wir haben zusammen im Lazarett gelegen. So Gott will, wird auch er in ein, zwei Monaten entlassen. Bevor ich losfuhr, sagte ich zu ihm:
    ‚Schreib deiner Frau einen Brief, ich nehme ihn mit!' Hier ist er, heil und unversehrt, nimm ihn!" Kerim hielt Dshamila ein dreieckig zusammengefaltetes Papier hin. Dshamila ergriff hastig den Brief; sie wurde erst rot, dann bleich und sah selbst in diesem Augenblick verstohlen zu Danijar hin. Er stand einsam neben seinem Wagen, breitbeinig wie damals auf dem Druschplatz, und beobachtete Dshamila mit verzweifeltem Blick.
    Inzwischen waren von allen Seiten Leute herbeigeeilt. Der Soldat, der unter den Anwesenden sofort Bekannte und Verwandte fand, wurde mit Fragen überschüttet. Dshamila hatte ihm noch nicht für den Brief gedankt, als Danijars Wagen an ihr vorüberrumpelte. Er preschte in voller Fahrt vom Hof, das Fuhrwerk sprang über die Schlaglöcher und verschwand in einer Staubwolke.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher