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Dshamila

Dshamila

Titel: Dshamila
Autoren: Tschingis Aitmatow
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konnte? Mit verkniffenen Augen stellte ich mir die beiden vor, wie ich sie abbilden wollte. Mir war, als brauchte ich nur Pinsel und Farben zur Hand zu nehmen, um draufloszumalen.
    Ich lief zum Fluß, wusch mich und rannte zu den gefesselten Pferden. Die nasse, kalte Luzerne peitschte meine bloßen Beine, meine aufgesprungenen Fußsohlen brannten, doch mir war wohl. Im Laufen beobachtete ich die Natur um mich.
    Die Sonne stieg hinter den Bergen auf. Eine Sonnenblume, die am Wassergraben wuchs, bot sich ihr dar. Das weißköpfige Bittergras um sie herum neidete ihr das Licht, doch sie behauptete sich, fing ihm mit ihren gelben Zünglein die Morgenstrahlen weg und tränkte damit ihre dicht beieinanderstehenden festen Samenkerne. Da war die Furt durch den Graben, von Radspuren zerfurcht, in denen Wasser stand, dort die fliederblaue kleine Insel aus halbmannshoch aufgeschossener duftender Minze. Unter meinen eilenden Füßen die vertraute Erde, über mir um die Wette dahinjagende Schwalben. Ach, wenn man Farben hätte, das alles zu malen — die Morgensonne, die weißblauen Berge, die taufeuchte Luzerne und die wildgewachsene Sonnenblume am Wassergraben!
    Als ich zum Druschplatz zurückkehrte, schwand meine frohe Stimmung jäh dahin. Dshamila sah grau und hohlwangig aus, dunkle Schatten lagen unter ihren Augen Wahrscheinlich hatte sie die ganze Nacht nicht geschlafen. Sie lächelte mir nicht zu und redete auch nicht mit mir. Als der Brigadier Orosmat erschien, trat sie zu ihm und sagte, ohne zu grüßen ... „Nehmt euren Wagen wieder! Schickt mich, wohin ihr wollt, aber auf den Bahnhof fahre ich nicht mehr!"
    „Was fällt dir ein, Dshamila? Hat dich eine Bremse gestochen, oder was?" erwiderte Orosmat verwundert.
    „Ach, geht mir eurer Bremse! Fragt mich nicht weiter, ich will nicht, und dabei bleibt's!"
    Das Lächeln wich aus Orosmats Gesicht.
    „Ob du willst oder nicht, du fährst!" schimpfte er und stieß mit dem Krückstock auf die Erde. „Wenn dich jemand gekränkt hat, dann sage es, ich zerschlage den Stock hier auf seinem Kopf! Wenn aber nicht, dann mach keine Geschichten! Du fährst Korn für die Soldaten, hast selbst deinen Mann dabei!" Er wandte sich um und humpelte an seiner Krücke davon.
    Dshamila war über und über rot geworden. Verwirrt und leise seufzend warf sie einen Blick auf Danijar, der mit dem Rücken zu ihr in der Nähe stand und ruckweise die Kum metriemen festzog. Er hatte das Gespräch gehört. Dshamila riß eine Weile unschlüssig an der Peitsche, die sie in der Hand hielt; dann winkte sie verzweifelt ab und ging zu ihrem Wagen.
    An diesem Tag kehrten wir früher als gewöhnlich zurück. Danijar trieb den ganzen Weg über die Pferde an. Dshamila blieb finster und schweigsam. Und ich wollte nicht glauben, daß die Steppe nun versengt und schwarz vor mir lag. Noch gestern hatte sie doch ganz anders ausgesehen! Es war, als hätte ich im Märchen von ihr gehört, und das Bild vom Glück, das mich so aufgewühlt hatte, ging mir nicht aus dem Sinn. Hatte ich nicht ein Stück Leben erhascht, neben dem alles andere verblaßte? Ich stellte mir mein Bild in allen Einzelheiten vor, nichts anderes beschäftigte mich mehr. Ich fand keine Ruhe und stahl schließlich der Wiegemeisterin ein weißes Blatt Papier. Mit klopfendem Herzen lief ich hinter eine Strohmiete und legte das Blatt auf eine glatte Holzschaufel, die ich unterwegs den Worflern weggenommen hatte.
    „Allah gebe seinen Segen!" flüsterte ich wie einst der Vater, als er mich zum erstenmal auf ein Pferd setzte, und berührte mit dem Bleistift das Papier. Unsicher zog ich die ersten Linien. Doch als auf dem Blatt die Züge Danijars erschienen, da vergaß ich alles um mich her! Die Steppe schien sich über das Papier zu breiten, so, wie sie in jener Augustnacht war; ich hörte Danijars Lied und sah ihn selbst mit zurückgelegtem Kopf und entblößter Brust, ich sah Dshamila, die sich an seine Schulter schmiegte. Das war meine erste selbständige Zeichnung: der Wagen, die beiden Menschen, die Zügel, lose über die Vorderwand des Wagens geworfen, die in der Dunkelheit schwankenden Pferderücken und die weite Steppe, die fernen Sterne.
    Ich zeichnete mit solcher Hingabe, daß ich nichts um mich her bemerkte und erst zur Besinnung kam, als mich eine Stimme anrief: „Was ist denn los mit dir, bist du taub geworden?"
    Es war Dshamila. Ich fühlte mich ertappt, errötete und konnte die Zeichnung nicht mehr verstecken.
    „Die Wagen sind schon lange
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