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Dshamila

Dshamila

Titel: Dshamila
Autoren: Tschingis Aitmatow
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einem Wort, sie konnte tüchtig zupacken. Gott schickte ihr gleichsam als Belohnung für ihren Fleiß eine arbeitsame Schwiegertochter. Dshamila arbeitete genauso unermüdlich und geschickt wie sie, doch war sie von anderer Art.
    Ich liebte Dshamila heiß, und auch sie mochte mich. Wir hielten gute Freundschaft, doch wir wagten nicht, uns beim Namen zu nennen. Wären wir aus verschiedenen Familien gewesen, dann hätte ich sie natürlich Dshamila genannt; so aber sagte ich Dshene zu ihr, Schwägerin, und sie nannte mich Kitschine-bala, Kleiner, obwohl ich durchaus nicht klein und der Altersunterschied zwischen uns beiden gering war. Aber so forderte es der Brauch in den Ails: Die Schwiegertöchter nannten die jüngeren Brüder des Mannes Kitschine-baln oder Kajyn.
    Die Hauswirtschaft beider Höfe besorgte meine leibliche Mutter. Meine kleine Schwester, ein putziges Mädchen mit Fädchen in den Rattenschwanzzöpfen, half ihr dabei. Nie werde ich vergessen, mit welchem Eifer die Kleine in dieser schweren Zeit ihren Pflichten nachkam. Mal hütete sie hinter den Gemüsegärten die Lämmchen und Kälber der beiden Höfe, mal sammelte sie Kamelmist und Reisig, damit immer etwas zum Heizen im Haus war. Sie brachte Freude in die Einsamkeit der Mutter, mein liebes stupsnasiges Schwesterchen, und lenkte sie mit ihren Zärtlichkeiten von den traurigen Gedanken an die vermißten Söhne ab.
    Das gute Einvernehmen und den Wohlstand im Haus verdankte die große Familie meiner Mutter. Sie war die unumschränkte Herrin beider Höfe, die Hüterin des häuslichen Herdes. Als blutjunges Mädchen war sie in die Sippe unserer nomadisierenden Großväter aufgenommen worden; sie hielt ihr Andenken heilig und regierte die Familie nach Recht und Sitte. Im Ail galt sie als die achtbarste, lauterste und klügste Hausfrau. Sie gebot über alle im Haus. Offen gestanden, erkannte man im Ail den Vater nicht als Familienoberhaupt an. Oft konnte ich bei der einen oder anderen Gelegenheit jemand sagen hören: „Weißt du, geh lieber nicht zum Ustak", so nennt man bei uns die Handwerker, „der kennt doch nur sein Beil. Bei denen hat die ältere Mutter zu bestimmen, sprich gleich mit ihr, da erreichst du mehr."
    Es sei noch erwähnt, daß auch ich mich trotz meiner Jugend häufig in häusliche Angelegenheiten einmischte. Das konnte ich mir nur erlauben, weil die älteren Brüder im Krieg waren. Man nannte mich deshalb, zuweilen scherzhaft, zuweilen aber auch im Ernst, den Dshigiten zweier Familien, den Beschützer und Ernährer. Ich war stolz darauf und fühlte mich für alles verantwortlich. Die Mutter unterstützte meine Selbständigkeit. Ich sollte ein tüchtiger, aufgeweckter Dshigit werden, nicht so einer wie mein Vater, der tagaus, tagein schweigsam hobelte und sägte.
    Ich hielt also, vom Bahnhof kommend, mit meinem Wagen vor dem Haus im Schatten einer Weide an, lockerte die Zugriemen und ging zum Tor. Da erblickte ich auf dem Hof unseren Brigadier Orosmat, wie immer zu Pferd, die Krücke am Sattel. Neben ihm stand meine Mutter. Die beiden stritten über etwas. Als ich näher kam, hörte ich die Mutter sagen: „Kommt gar nicht in Frage! Schämst du dich nicht? Wo hat man je gesehen, daß eine Frau Säcke fährt! Nein, mein Lieber, laß meine Schwiegertochter aus dem Spiel. Sie soll arbeiten wie bisher. Ich weiß ohnehin nicht, wo mir der Kopf steht, versuch du mal, auf zwei Höfen Ordnung zu halten! Ein Glück noch, daß mein Töchterchen herangewachsen ist. Seit einer Woche kann ich nicht geradegehen, das Kreuz tut mir weh, als hätte ich eine ganze Filzmatte gewalkt, und dabei vertrocknet der Mais draußen, er braucht Wasser", schimpfte sie erregt und steckte fortwährend den Zipfel des Kopftuchs in den Kragen ihres Kleides. Das tat sie immer, wenn sie böse war.
    „Aber begreifen Sie doch!" sagte Orosmat verzweifelt, sich im Sattel vorbeugend. „Wenn ich statt dieses Stumpfes noch mein Bein hätte, würde ich Sie da bitten? Ich würde selber, wie früher, die Säcke auf den Wagen werfen und loskutschieren! Ich weiß, es ist keine Frauenarbeit, aber wo soll ich denn Männer hernehmen? Es ist nun mal beschlossen worden, die Frauen der Soldaten heranzuziehen. Sie klammern sich an Ihre Schwiegertochter, und wir dürfen uns nachher von oben schelten lassen! ‚Die Soldaten brauchen Brot, ihr gefährdet den Plan!' wird es heißen. Das geht doch nicht! So darf man's doch nicht machen!" Ich trat näher, die Peitsche auf der Erde nachschleifend.
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