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Dshamila

Dshamila

Titel: Dshamila
Autoren: Tschingis Aitmatow
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Du bist ja mit ihr verwandt. Ist sie nicht deine Dshene?"
    „Ja."
    „Der Brigadier hat sie selbst dorthin gebracht und mir aufgetragen, nach ihnen zu sehen."
    Wie gut, daß ich die Pferde nicht weggetrieben hatte!
    Die Nacht brach herein. Der leichte Abendwind, der von den Bergen her wehte, legte sich. Auf dem Druschplatz war es still geworden. Danijar machte es sich neben mir in einem Strohhaufen bequem, doch nach einiger Zeit stand er auf und ging zum Fluß. Er trat nahe an die Uferböschung heran und blieb dort stehen, die Hände auf dem Rücken verschränkt, den Kopf seitwärts geneigt. Ich sah ihn von hinten. Seine hohe, eckige Gestalt hob sich im weichen Mondlicht scharf ab. Sie wirkte wie mit dem Beil aus einem Stück Holz gehauen. Er schien auf das Lärmen des Flusses zu horchen, der in der Nacht besonders laut über die Sandbänke rauschte. Vielleicht lauschte er auch anderen Tönen und Geräuschen der Nacht, die mir verborgen blieben. Er will wieder am Fluß übernachten, der Sonderling! dachte ich spöttisch.
    Danijar lebte noch nicht lange in unserem Ail. Während der Heumahd hatte einmal ein kleiner Junge die Nachricht gebracht, daß ein verwundeter Soldat im Ail angekommen sei. Wie er hieß und in welche Familie er gehörte, das wußte der Junge nicht. Oje, war das eine Aufregung! Wie es so ist im Ail, wenn ein Soldat von der Front kommt, laufen alle ohne Ausnahme, alt und jung, in Scharen zusammen, um den Ankömmling zu sehen, ihm die Hand zu drücken, ihn nach Verwandten und Neuigkeiten zu fragen. Auch diesmal erhob sich ein unbeschreibliches Geschrei. Jeder riet herum:
    Vielleicht war der Bruder zurückgekehrt, vielleicht der Vater? Und so rannten die Schnitter davon, um zu erfahren, was es mit dem Ankömmling auf sich hatte. Es stellte sich heraus, daß Danijar ein Stammesbruder von uns war und aus unserem Ail stammte. Man erzählte, er habe früh die Eltern verloren und drei Jahre lang auf verschiedenen Höfen in Armut gelebt, dann sei er zu den Kasachen in die Tschakmakische Steppe davongelaufen, seine Verwandten mütterlicherseits waren Kasachen. Nahe Verwandte, die ihn zurückholen konnten, hatte er nicht, und so vergaß man ihn. Wenn man ihn jetzt fragte, wie es ihm ergangen sei, nachdem er seine Heimat verlassen habe, antwortete er ausweichend, doch man merkte, daß er viel Leid erfahren und das Schicksal eines Waisenkindes ausgiebig kennengelernt hatte. Das Leben hatte ihn wie loses Büscheikraut in die verschiedensten Gegenden geweht. Lange Zeit hütete er die Schafe auf dem tschakmakischen Salzboden; als er herangewachsen war, grub er in der Wüste Kanäle, oder er arbeitete in den neuen Baumwollsowcho-sen. Später verschlug es ihn in die Angrener Kohlengruben bei Taschkent, und von dort aus ging er zur Armee. Über die Rückkehr Danijnrs in seine Heimat freuten sich die Leute im Ail. „Wenn er auch viel umhergeirrt ist, so hat er doch zurückgefunden, es war ihm also bestimmt, das Wasser aus dem heimatlichen Aryk zu trinken. Und auch seine Muttersprache hat er nicht vergessen; sie klingt ein bißchen nach dem Kasachischen hin, aber sonst spricht er rein!" sagten die Leute. Und die Aksakale meinten: „Tulpar, das Märchenroß, wittert seine Herde selbst am Ende der Welt. Wer liebt nicht seine Heimat, sein Volk! Du hast recht daran getan, daß du zurückgekehrt bist.. Wir und die Geister deiner Vorfahren billigen deinen Entschluß. So Gott will, werden wir die Deutschen schlagen und wieder in Frieden leben; du wirst, wie die anderen, eine Familie gründen, und der Rauch deines Herdes wird in die Lüfte steigen."
    Sie erinnerten sich der Vorfahren Danijars und stellten genau fest, aus welcher Sippe er stammte. So tauchte in unserem Ail ein neuer „Verwandter" auf — Danijar.
    Bald darauf brachte der Brigadier Orosmat den großen, ein wenig gebückt gehenden Soldaten, der das linke Bein nachzog, zu uns auf die Wiese. Den Uniformmantel über die eine Schulter geworfen, schritt er hastig aus, um nicht hinter der kleinen jungen Stute Orosmats zurückzubleiben. Der Brigadier wirkte neben dem langen Danijar durch seine untersetzte Gestalt und seine Beweglichkeit wie eine auf-gescheuchte Sumpfschnepfe. Wir Kinder mußten sogar lachen.
    Das verwundete Bein Danijars war damals noch nicht ganz verheilt, er konnte das Knie nicht beugen. Deshalb taugte er nicht als Schnitten; man setzte ihn bei uns Kindern am Grasmäher ein. Ehrlich gesagt, er gefiel uns nicht besonders. Vor allem paßte uns seine
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