Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dshamila

Dshamila

Titel: Dshamila
Autoren: Tschingis Aitmatow
Vom Netzwerk:
Verschlossenheit nicht. Er sprach wenig, und wenn er schon einmal redete, dann hatte man das Gefühl, als denke er gleichzeitig an etwas ganz anderes, Fernliegendes. Er hing seinen eigenen Gedanken nach, und man wußte nie, ob er einen überhaupt sah, selbst wenn er einem mit seinen nachdenklichen, verträumten Augen offen ins Gesicht blickte. „Der arme Kerl, er kann wahrscheinlich die Front immer noch nicht vergessen", sagten die Leute von ihm.
    Trotz seiner Versonnenheit arbeitete er schnell und zuverlässig. Ein Außenstehender konnte ihn für einen mitteilsamen, geselligen Menschen halten. Vielleicht hatte ihn die harte, einsame Kindheit gelehrt, Gefühle und Gedanken zu verbergen, sich anderen gegenüber zu verschließen, wer weiß.
    Seine schmalen Lippen waren stets fest geschlossen, so daß sich an den Mundwinkeln harte Falten bildeten; seine Augen blickten traurig und ruhig., nur die geschmeidigen, beweglichen Brauen belebten sein hageres, müdes Gesicht. Manchmal horchte er auf, als höre er etwas, was andere nicht wahrzunehmen vermochten. Er zog die Brauen hoch, und seine Augen leuchteten in rätselhaftem Entzücken. Dann lächelte er lange und freute sich über irgend etwas. Uns kam das alles merkwürdig vor. Und das war es nicht allein, er hatte auch noch andere sonderbare Gewohnheiten. Abends spannten wir die Pferde aus, sammelten uns vor der Hütte und warteten, bis die Köchin das Essen fertig hatte; Danijar hingegen stieg auf den Wachtberg und blieb dort bis zum Dunkelwerden sitzen.
    „Was treibt er dort bloß? Ist er vielleicht als Wächter eingesetzt worden?" spotteten wir. Einmal folgte ich ihm aus Neugier. Ich konnte auf der Anhöhe nichts Besonderes entdecken. Ringsum dehnte sich bis zu den Gebirgen die weite, in fliederblauem Dämmerlicht liegende Steppe. Die dunklen, verschwommenen Felder schienen langsam unter eine Wasserfläche zu sinken.
    Danijar ließ sich durch mein Kommen nicht im geringsten stören. Er saß da, die Hände um die Knie gelegt, und schaute mit nachdenklichem, doch klarem Blick in die Ferne. Und wieder war mir, als lausche er gespannt irgendwelchen meinem Ohr nicht wahrnehmbaren Klängen nach. Von Zeit zu Zeit horchte er auf; dann öffneten sich seine Augen weit, und er erstarrte vollends. Ihn quälte etwas. Ich glaubte, er werde im nächsten Augenblick aufspringen und sein Herz ausschütten, nicht vor mir, mich bemerkte er gar nicht, sondern vor etwas Großem, Unfaßbarem, mir Unbegreiflichem. Doch gleich darauf erkannte ich ihn nicht wieder: Müde und zusammengesunken hockte er da, als ruhe er sich nur nach der Arbeit aus.
    Das Grasland unseres Kolchos lag in den fruchtbaren Uf erniederungen des Kurkurëu. Der Fluß brach unweit unserer Siedlung aus einer Schlucht hervor und ergoß sich dann als ungebändigter, wilder Strom in die Ebene. Zur Zeit der Heuernte führten die Bergflüsse Hochwasser. Auch in diesem Jahr wurde der Kurkurëu eines Abends trübe, und sein Wasser begann schäumend zu steigen. Um Mitternacht erwachte ich in der Hütte von dem machtvollen Dröhnen des Flusses. Unbewegt blickte die blaue Nacht mit ihren Sternen in die Hütte, mitunter wurde ein kühler Windhauch spürbar, die Erde schlief, nur der Fluß toste und schien sich drohend auf uns zuzuwälzen. Obgleich wir nicht unmittelbar am Ufer lagen, glaubte ich in dieser Nacht das Wasser so nahe, daß ich unwillkürlich fürchtete, es könnte uns und unsere Hütte fortspülen. Meine Kameraden schliefen den tiefen Schlaf der Schnitter, ich aber fand keine Ruhe und trat ins Freie.
    Schön und furchtbar ist die Nacht in den Niederungen des Kurkurëu. Hier und dort zeichnen sich auf den Wiesen die Silhouetten der gefesselten Pferde ab. Sie haben sich an dem taufeuchten Gras satt gefressen, schnauben von Zeit zu Zeit und schlafen halb. Doch ein Stück weiter drängt der Kurkurëu über das Ufer, er zerrt an den zerzausten, nassen Purpurweiden, und seine Wasser reißen dröhnend die Steine mit sich fort. Der rastlose Fluß erfüllt die Nacht mit einer schaurigen Musik. Grauen erfaßt das Herz. In diesen Nächten dachte ich immer an Danijar. Er übernachtete gewöhnlich in den Heuhaufen am Fluß. Empfand er denn keine Furcht? Machte ihn das Getöse nicht taub? Ob er wohl schlief? Weshalb nächtigte er allein dort am Ufer? Was gefiel ihm daran? Ein merkwürdiger Mensch, nicht von dieser Welt. Wo mochte er jetzt sein? Ich sah mich nach allen Seiten um, doch ich konnte ihn nicht entdecken. In sanften Hügeln
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher