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Dshamila

Dshamila

Titel: Dshamila
Autoren: Tschingis Aitmatow
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Sturm gefällt hat, konnte sie sich nicht wieder aufrichten. Nie hatte sie vordem jemand gebeten, ihr die Nadel einzufädeln, dazu wäre sie viel zu stolz gewesen. Und nun kam ich eines Tages aus der Schule, da sah ich: Mutters Hände zitterten, sie fand das Nadelöhr nicht und weinte. „Ach, fädel mir doch mal den Faden ein!" bat sie und fügte mit einem tiefen Seufzer hinzu: „Dshamila wird zugrunde gehen... Ach, was für eine tüchtige Hausfrau wäre sie für die Familie geworden! Einfach fortzugehen und alles aufzugeben! Weshalb hat sie das getan? Ist es ihr denn bei uns schlecht gegangen?"
    Ich wollte die Mutter umarmen, sie beruhigen, ihr erzählen, was für ein Mensch Danijar war, doch ich wagte es nicht, denn ich hätte sie zutiefst gekränkt. Trotzdem blieb meine unschuldige Teilnahme an dem Geschehenen nicht verborgen.
    Sadyk kam bald zurück. Er war natürlich traurig, obgleich er einmal im Rausch zu Osmon sagte: „Nun ist sie eben weg, was kümmert's mich? Sie wird irgendwo verrecken.
    Heutzutage gibt's genug Weiber. Jeder Trottel gilt mehr als eine goldblonde Schönheit." „Das stimmt!" antwortete Osmon. „Nur schade, daß er mir nicht in die Hände gefallen ist, ich hätte ihn umgebracht, das ist sicher. Und sie hätte ich mit den Haaren an einen Pferdeschwanz gebunden! Sie sind bestimmt nach dem Süden in die Baumwollplantagen gegangen oder ins Kasachische, er ist ja das Herumstrolchen gewohnt! Es will mir nur nicht in den Kopf, wie das alles gekommen ist, keiner hat was gewußt, keiner hat es auch nur für möglich gehalten. Das hat sie ganz im stillen eingefädelt, dieses Luder! Ich hätte sie ..." Als ich das hörte, hätte ich am liebsten zu Osmon gesagt:
    Du kannst es bloß nicht verwinden, daß sie dich damals bei der Heuernte abgewiesen hat, du niederträchtiger Hund!
    Einmal saß ich zu Hause und zeichnete etwas für die Schulwandzeitung. Die Mutter hantierte am Ofen. Da stürzte Sadyk ins Zimmer und hielt mir ein Blatt Papier unter die Nase.
    „Hast du das gezeichnet?"
    Ich blickte betroffen auf. Es war mein erstes Bild. Einen Augenblick lang glaubte ich, Danijar und Dshamila sähen mich leibhaftig an.
    „Ja."
    „Wer ist das?" schrie Sadyk und zeigte mit dem Finger auf das Blatt. „Hinterhältiger Heuchler, du!"
    Er riß die Zeichnung in kleine Stücke und knallte im Hinausgehen die Tür zu.
    Nach langem drückendem Schweigen fragte die Mutter:
    „Du hast es gewußt?" ‚‚Ja."
    Sie lehnte sich an den Ofen und sah mich unendlich vorwurfsvoll und verständnislos an. Und als ich sagte: „Ich zeichne sie noch einmal!", da schüttelte sie nur betrübt und kraftlos den Kopf.
    Ich betrachtete die Papierfetzen auf dem Fußboden. Das Gefühl, zu Unrecht beleidigt worden zu sein, schnürte mir die Kehle zu. Mochten sie mich für einen Heuchler halten! Wen hatte ich denn hintergangen? Die Familie? Unsere Sippe? Die Wahrheit jedenfalls, die Wahrheit des Lebens und das reine Gefühl dieser beiden Menschen hatte ich nicht verraten. Doch das konnte ich niemand erzählen. Nicht einmal die Mutter hätte mich verstanden.
    Vor meinen Augen verschwamm alles, die Papierfetzen schienen auf dem Fußboden zu tanzen, als wären sie lebendig. Noch immer im Banne des kurzen Augenblicks, in dem mich Danijar und Dshamila aus der Zeichnung angesehen hatten, glaubte ich Danijars Lied aus jener unvergeßlichen Augustnacht zu hören. Ich sah die beiden den Ail verlassen, und mich packte ein unbändiges Verlangen, es ihnen gleichzutun, kühn und entschlossen wie sie hinauszutreten auf den schweren Weg, um mein Glück zu suchen. „Ich will fortgehen, studieren. Sag es dem Vater. Ich möchte Maler werden!" sagte ich fest zu meiner Mutter.
    Ich war überzeugt gewesen, daß sie weinen, mir Vorwürfe machen und mich an meine im Krieg gefallenen Brüder erinnern würde. Doch zu meinem Erstaunen klagte sie nicht. Sie sagte nur schwermütig und leise: „Geh nur. Ihr seid flügge geworden und schlagt auf eigene Art mit den Flügeln. Woher sollen wir wissen, ob ihr nicht einmal hoch hinauffliegen werdet? Vielleicht habt ihr recht. Geh nur. Vielleicht besinnst du dich dort auch eines Besseren. Zeichnen und Malen ist kein Handwerk. Lerne, dann wirst du es selber merken. Und vergiß dein Vaterhaus nicht."
    An diesem Tag trennte sich das Kleine Haus von uns. Und ich fuhr bald darauf zum Studium.
    Das ist die ganze Geschichte.
    Auf der Akademie, wohin man mich nach Absolvierung der Kunstfachschule schickte, fertigte ich meine
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