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Dshamila

Dshamila

Titel: Dshamila
Autoren: Tschingis Aitmatow
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Wagen. 
    Wer weiß, was an diesem Abend in mir vorging, sein Gesang war von einer so zarten, zu Herzen gehenden Trauer, ein so ergreifendes Gefühl der Einsamkeit lag darin, daß einem vor Mitleid die Tränen in die Augen stiegen.
    Den Kopf gesenkt, schritt Dshamila rascher aus und klammerte sich an die Seitenstange des Fuhrwerks. Als Danijars Stimme wieder voll aufklang, hob sie den Kopf, sprang auf den fahrenden Wagen und setzte sich neben ihn. Sie saß ganz still, die Hände auf die Brust gelegt. Ich lief ein Stück vor und betrachtete die beiden von der Seite. Danijar sang und schien Dshamila neben sich nicht zu bemerken. Ich sah, wie ihre Hände kraftlos herabsanken, wie sie sich ihm zuneigte und den Kopf leicht an seine Schulter legte. Nur einen Augenblick lang, so, wie ein aufs äußerste angetriebener Paßgänger mal einen falschen Schritt tut, zitterte Danijars Stimme, dann schwoll sie mit neuer Kraft an. Er sang von der Liebe!
    Ich war zutiefst bewegt. Die Steppe schien zu erblühen, zu wogen, das Dunkel schien sich zu lichten, und inmitten der Weite sah ich zwei Verliebte. Sie bemerkten mich nicht, als wäre ich gar nicht vorhanden. Ich ging und schaute, wie sie sich, die ganze Welt vergessend, zusammen im Takt des Liedes wiegten. Ich erkannte sie nicht wieder. War das Danijar in der aufgeknöpften schäbigen Soldatenbluse, dessen Augen dort in der Dunkelheit leuchteten? War es meine Dshamila, die sich still und schüchtern an ihn schmiegte und an deren Wimpern Tränen glitzerten? Es waren andere,  ungeahnt glückliche Menschen. So sah das Glück aus. All die Liebe für sein Heimatland, die in ihm diese wundersamen Melodien geweckt hatte, gab Danijar nun Dshamila. Er sang fur sie, er sang von ihr. 
    Mich ergriff wieder die rätselhafte Erregung, die für mich immer von Danijars Liedern ausging. Und plötzlich wurde mir klar, was ich wollte. Ich mußte die beiden malen. 
    Ich erschrak vor den eigenen Gedanken. Doch der Wunsch war stärker als die Angst. Ich würde sie in ihrem Glück darstellen! Ja, genau so, wie sie jetzt dort saßen! Doch würde ich es können? Der Atem stockte mir vor Furcht und Freude. In wonnetrunkenem Selbstvergessen ging ich neben dem Wagen her. Auch ich war glücklich, denn ich wußte noch nicht, wieviel Schwierigkeiten mir dieser vermessene Wunsch bereiten sollte. Ich sagte mir, daß man die Erde so sehen müsse, wie Danijjar sie sah, ich wollte sein Lied in Farben nacherzählen und Berge, Steppe, Menschen, Gras, Wolken und Flüsse wiedergeben wie er. Ich überlegte in diesem Augenblick sogar, wie ich mir Farben beschaffen könnte, denn von der Schule würde ich keine bekommen, die hatte selbst nichts. Als ob das Gelingen meines Vorhabens nur davon abgehangen hätte!

Das Lied Danijars brach unerwartet ab. Dshamila hatte ihn ungestüm umarmt, doch sie wich sofort zurück; einen Augenblick saß sie starr, dann wandte sie sich hastig zur Seite und sprang vom Wagen. Danijar zog unschlüssig die Zügel an, die Pferde blieben stehen. Dshamila. stand mit dem Rücken zu ihm auf der Straße. Plötzlich warf sie brüsk den Kopf zurück, sah ihn über die Schulter hinweg einen Augenblick an und sagte, mit den Tränen kämpfend: „Was schaust du denn so?" Nach einer Weile fügte sie rauh hinzu: „Sieh mich nicht so an, fahr zu!" Sie ging zu ihrem Wagen. „Steig auf, nimm deine Zügel! Ach, mit euch hat man schon seinen Kummer!"
    Was hat sie denn auf einmal? dachte ich verständnislos und trieb meine Pferde an. Dabei war unschwer zu erraten, was in ihr vorging. Sie bedrückte der Gedanke, daß sie ja einen ihr angetrauten Mann hatte, der lebte und in einem Lazarett in Saratow lag. Doch ich wollte an nichts denken. Ich ärgerte mich über sie und über mich selbst. Vielleicht hätte ich sie gehaßt, wenn ich gewußt hätte, daß Danijar nicht mehr singen würde und es mir nie mehr vergönnt sein sollte, seine Stimme zu hören. Ich war todmüde und hatte nur den einen Wunsch, möglichst schnell ans Ziel zu gelangen, um mich im Stroh auszustrecken. Vor mir in der Finsternis schwankten die Rücken der Pferde, das Rütteln des Wagens schien unerträglich, und die Zügel glitten mir aus den Händen.
    Am Druschplatz angekommen, schirrte ich mit Mühe und Not ab, warf das Zaumzeug unter den Wagen, schleppte mich zu einer Strohmiete und fiel hinein. Danijar brachte die Pferde allein zur Weide.
    Doch am Morgen erwachte ich mit einem frohen Gefühl. Ich würde Dshamila und Danijar malen. Ob ich es
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