Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dshamila

Dshamila

Titel: Dshamila
Autoren: Tschingis Aitmatow
Vom Netzwerk:
nicht mit seiner verspäteten Liebe, sollen die Leute reden, was sie wollen! Du mein Lieber, Einsamer, ich gebe dich niemand! Ich liebe dich seit langem, schon als ich dich noch gar nicht kannte, liebte ich dich; ich habe auf dich gewartet, und du bist gekommen, als hättest du es gewußt."
    Einer nach dem anderen fuhren die gezackten blauen Blitze hinter der Uferböschung in den Fluß. Die ersten schräg einfallenden, kühlen Regentropfen raschelten auf dem Stroh.
    „Dshamiljam, liebe, traute Dshamaltai!" flüsterte Danijar. Er gab ihr die zärtlichsten kasachischen und kirgisischen Kosenamen. „Ich liebe dich auch schon lange; in den Schützengräben habe ich von dir geträumt, ich wußte, daß meine Liebe zur Heimat die Liebe zu dir war, meine Dshamila!" „Dreh dich um, laß mich deine Augen sehen!" Das Gewitter entlud sich. Ein von der Jurte losgerissenes Stück Schafwollfilz flatterte im Wind wie der Flügel eines verwundeten Vogels. Stürmische Böen trieben den Regen prasselnd auf die Erde; es sah aus, als küsse er sie. Schräg über uns krachten mächtige Donnerschläge, die am Himmel rollend nachhallten. Bei jedem Aufzucken erglühten die Berge wie ein Tulpenfeld im Frühling. Wütend heulte der Sturm.
    Es goß in Strömen. Ich lag ins Stroh eingegraben und fühlte unter meiner Hand das Herz schlagen. Ich war glücklich. Mir war zumute, als sähe ich nach langer Krankheit zum erstenmal wieder die Sonne. Der Regen und auch das Leuchten der Blitze drangen bis zu mir unters Stroh, doch ich fühlte mich wohl; ich schlief lächelnd ein, ohne recht zu begreifen, ob es das Flüstern Danijars und Dshamilas oder das Rascheln des nachlassenden Regens war, was ich noch vernahm.
    Jetzt würde die Regenzeit einsetzen, der Herbst stand vor der Tür. In der Luft lag schon der herbstliche, feuchte Geruch nach Wermut und nassem Stroh. Was erwartete uns in den kommenden Monaten? Daran dachte ich merkwürdigerweise nicht.

    In diesem Herbst ging ich nach zweijähriger Unterbrechung wieder zur Schule. Nach dem Unterricht lief ich oft zum Fluß und setzte mich bei dem ehemaligen, jetzt verwilderten und verlassenen Druschplatz an die Uferböschung. Dort malte ich mit Schulfarben meine ersten Studien. Selbst für meine damaligen Begriffe gelang mir nicht alles.
    Die Farben taugen nicht! sagte ich mir. Ja, wenn ich richtige hätte! Dabei hatte ich keine Vorstellung, wie diese beschaffen sein müßen. Richtige Ölfarben in Zinntuben bekam ich erst viel später zu sehen.
    Jedenfalls schienen die Lehrer recht zu haben: Ich mußte Malerei studieren. Doch daran war nicht im Traum zu denken. Von meinen leiblichen Brüdern kam nach wie vor keine Nachricht; die Mutter hätte mich, ihren einzigen Sohn, „den Dshigiten und Ernährer zweier Familien", auf keinen Fall fortgelassen, und ich hätte es gar nicht gewagt, darüber auch nur zu sprechen. Dabei war gerade in diesem Jahr der Herbst so schön, daß man ihn nur immerfort malen mochte.
    Der Kurkurëu war kalt geworden und so flach, daß die mit dunkelgrünem und orangefarbenem Moos bewachsenen runden Steine zutage traten. Frühe Fröste färbten die kahlen, zarten Purpurweiden rot, während die wildwachsenden Pappeln noch ihre gelben, festen Blätter behielten.
    Auf den feuchten Wiesen standen als schwarze Flecke im rötlich verfärbten Herbstgras die verräucherten, regendurchweichten Jurten der Pferdehirten; über den Öffnungen in ihren Dächern schwebten graublaue, stark riechende Rauchschwaden. Herbstlich stimmgewaltig wieherten die schlanken Hengstfohlen, die Stuten liefen unruhig umher, bis zum Frühjahr würde es wieder schwer sein, sie bei der Herde zu halten. Das Vieh kehrte aus den Bergen zurück und trottete über die Stoppelfelder. Kreuz und quer liefen die Hufspuren durch die graubraune, abgestorbene Steppe.
    Bald begann der Steppenwind zu blasen, der Himmel wurde trübe, und kalter Regen fiel, der Vorbote des Schnees. Da kam ein Tag, an dem das Wetter noch erträglich war, und ich ging zum Fluß, um mir die flammendroten Ebereschen am Ufer anzusehen, die mir so sehr gefielen. Ich setzte mich unweit der Furt unter eine Purpurweide. Der Abend sank hernieder. Da erblickte ich zwei Gestalten, die offenbar den Fluß durchwatet hatten. Es waren Danijar und Dshamila. Ich vermochte den Blick nicht von ihren ernsten, erregten Gesichtern abzuwenden. Danijar trug einen Soldatensack auf dem Rücken; er strebte, das Bein nachziehend, hastig vorwärts, so daß sein offener
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher