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Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten

Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten

Titel: Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten
Autoren: Maybrit Illner , Hajo Schumacher
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Szenen einer Zugewinngemeinschaft
    Der Geheimbund von Volks- und Medienvertretern gehört zu den bestgehüteten Geheimnissen der Republik. Sie leben in gespannter Koexistenz zusammen, sie belauern und verachten, sie bewundern und sie brauchen sich. Bislang genossen Journalisten das Privileg, Politiker beurteilen zu dürfen. Jetzt schlägt die Macht zurück: Erstmals wagen führende Politiker ein klares Wort über die, denen bislang das Monopol auf Schlagzeilen gehörte.
     
    Im Leben des großen Journalisten Rudolf Augstein gab es viele historische Momente. Der Hamburger Verleger, der den Spiegel erfand, hat sie alle getroffen, die Großen und Erhabenen, Präsidenten, Kanzler und Gelehrte. Alle fürchteten Augsteins spitze Feder, die er vergnügt in die empfindlichsten Stellen der Macht bohrte.
    Eine Szene jedoch untergrub die Autorität des großen Journalisten nachhaltig, ein kurzer Moment vor der Kamera nur, über den sich allerdings Freunde wie Feinde, vor allem aber die Belegschaft des Blattes bis heute amüsieren. Da sieht man den mächtigen Verleger, wie er sich im Bundestagswahlkampf 1972 um Volksnähe müht, mitten auf der Straße in Rheda-Wiedenbrück. Augstein kandidiert 1972 im Dienste der FDP für den Bundestag.
    Der Medienmann will kameragerecht das Spiel mit einem kleinen Jungen vortäuschen. Doch der Knirps fängt an zu
brüllen. Er hat Angst, dass der fremde Mann ihm das Fahrrad wegnimmt. Der Kandidat ist ausgeliefert, dem Kind, der Kamera, den Lachern der Umstehenden. Grausame Politik. Man kann sich die genüssliche Gehässigkeit ausmalen, mit der der Spiegel die missglückte Szene geschildert hätte, wäre sie nicht dem eigenen Patriarchen unterlaufen. Kaum zwei Monate nach der Wahl gibt der Verleger sein Mandat zurück. Politik machen und Politik beschreiben, das sind offenbar völlig unterschiedliche Berufe. Augsteins Abenteuer illustriert einen Konflikt, der seither unvermindert schwelt. Journalisten halten Politiker durchweg für Fehlbesetzungen; Volksvertreter wiederum sehen in Medienmenschen bösartige Wesen, die nichts anderes im Sinn haben, als den Alltag in Kabinett, Parlament und Ministerien in ein permanentes Höllenfeuer zu verwandeln.
    Beide glauben insgeheim, den Job des anderen sehr viel besser erledigen zu können. Aber die wenigsten lassen es wirklich darauf ankommen. Allenfalls als Sprecher versuchen sich Journalisten, so wie einst Peter Boenisch oder Peter Hausmann in Diensten Helmut Kohls, Ulrich Wilhelm unter Angela Merkel, Uwe-Karsten Heye bei Gerhard Schröder oder Richard Meng bei Klaus Wowereit. Im Maschinenraum von Parlamenten oder Ministerien machen Journalisten sich dagegen rar.
    Umgekehrt gilt ebenfalls: Aktive Politiker finden sich außerhalb ihrer Parteiblätter kaum als Medienmacher. Manche liefern Gastbeiträge, die aber meist wiederum von eingangs erwähnten Sprechern verfasst sind. Der schreibfreudige Zeit -Herausgeber Helmut Schmidt bleibt eine Ausnahme.
     
    Mögen sie sich auch belauern und verachten, sie führen doch täglich bizarre Schwänzeltänze füreinander auf. Politiker
und Journalisten sind einander in herzlicher Abneigung verbunden. Für die Öffentlichkeit führen sie gern und manchmal heftige Gefechte auf, doch kaum sind Kamera und Mikrofone verschwunden, rücken beide dicht zusammen. Meistens jedenfalls, und auch nur bis zur nächsten Schlagzeile. Manche hassen sich auch abgrundtief, einige teilen, kürzer oder länger, das Bett, andere schicken sich fröhlich eine SMS aus Redaktionskonferenzen oder vertraulichen Ausschusssitzungen.
    Der mediale Kontrolleur und sein Opfer haben über die Jahre teils metaphysische Beziehungen entwickelt. Manche kennen sich seit Jahren, ob Schulfreunde oder Studienkollegen, Parteianhänger oder Spezialisten, ob Laufpartner oder Zecher. Andere sind sich nie begegnet, wissen dennoch viel voneinander und kommunizieren oftmals täglich. Manche dieser oft nur auf Zugewinn ausgerichteten Journalist/Politiker-Paare dürften stabiler sein als die durchschnittliche deutsche Ehe.
    Wer sich mit wem bespricht, wer warnt, wer Papiere in einer Zeitung verborgen über den Kaffeehaustisch schiebt, wer sich mobbt und verachtet, entzieht sich den Augen der Öffentlichkeit. Nichts ist geheimer als die vielen Stränge, die sich wie ein Spinnennetz über Berlin legen, täglich stabilisiert durch E-Mail, SMS, Telefon oder persönliches Gespräch. Dass ausgerechnet die Öffentlichkeit ein geheimes Hinterzimmer hat, gehört zu den
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