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Drachenreiter

Titel: Drachenreiter
Autoren: Cornelia Funke
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das sehr.«
    »Hört auf euch zu streiten«, sagte Lung und sah zum Himmel hinauf. Der Mond stand schon sehr hoch. Wenn er noch in dieser Nacht aufbrechen wollte, wurde es Zeit. »Steig auf, Schwefelfell«, sagte er. »Oder sollen wir Ratte mitnehmen, damit du jemanden zum Streiten hast?«
    »Nein danke!« Ratte trippelte erschrocken ein paar Schritte zurück. »Kein Bedarf. Mir reicht es, wenn ich die Welt aus Geschichten kenne. Das ist wesentlich ungefährlicher.«
    »Ich streite sowieso nie«, brummte Schwefelfell mit vollem Mund und kletterte auf den Drachenrücken. »Diese Spitznasen sind eben sehr empfindlich.«
    Lung breitete die Flügel aus. Schwefelfell hielt sich schnell an einer seiner großen Rückenzacken fest.
    »Pass auf dich auf, Ratte«, sagte der Drache, beugte den Hals und stupste das kleine Tier zärtlich mit der Schnauze an. »Vor wilden Katzen kann ich dich jetzt eine ganze Weile nicht beschützen.« Dann machte er einen Schritt zurück, stieß sich von der feuchten Erde ab und erhob sich mit kräftigen Flügelschlägen in die Luft.
    »O nein!«, stöhnte Schwefelfell und klammerte sich so fest, dass ihre pelzigen Finger schmerzten.
    Immer höher stieg Lung in den dunklen Himmel. Kalt pfiff der Wind dem Koboldmädchen um die spitzen Ohren. »Ich werde mich doch nie daran gewöhnen«, murmelte sie. »Außer mir wachsen irgendwann Federn.« Vorsichtig lugte sie in die Tiefe. »Nicht einer«, murmelte sie. »Nicht einer steckt zum Abschied auch nur den Hals aus der Höhle. Wahrscheinlich kommen sie erst wieder raus, wenn ihnen das Wasser bis ans Kinn steht. He, Lung!«, rief sie dem Drachen zu. »Da vorn hinter den Hügeln kenne ich ein nettes Plätzchen. Wollen wir nicht doch besser hier bleiben?« Aber Lung antwortete nicht.
    Und die schwarzen Hügel schoben sich zwischen ihn und das Tal, in dem er geboren worden war.

    DIE GROSSE STADT UND DER KLEINE MENSCH
     
    »Schleimfüßiger Spitzschirmling!«, raunte Schwefelfell. »Wenn wir nicht bald etwas finden, fangen sie uns und stecken uns in den Zoo.«
    »Zoo? Was ist das?«, fragte Lung und hob die Schnauze aus dem Wasser. Vor einer Stunde war er in der großen Stadt gelandet, in der dunkelsten Ecke, die sie finden konnten, weitab von den Straßen, die sogar jetzt bei Nacht voll Lärm und Licht waren. Seitdem schwamm er von einem schmutzigen Kanal in den nächsten, auf der Suche nach einem Versteck für den Tag. Aber sosehr Schwefelfell auch ihre Katzenaugen anstrengte und ihre feine Nase in den Wind hielt, sie fanden einfach nichts, was groß genug für einen Drachen war und nicht nach Menschen roch. Alles roch hier nach ihnen, selbst das Wasser und der Müll, der in der dunklen Brühe trieb.
    »Du weißt nicht, was ein Zoo ist? Erklär ich dir später!«, brummte Schwefelfell. »Allerdings, wenn ich's mir genau überlege, stopfen sie uns wohl eher aus. Verflixt, ich werde Stunden brauchen, um dieses Dreckwasser von deinen Schuppen zu waschen.«
    Wie eine silbrige Schlange schwamm Lung durch den schmutzigen Kanal, unter Brücken hindurch und an grauen Häusermauern vorbei. Immer wieder blickte Schwefelfell beunruhigt zum Himmel, aber noch ließ die verräterische Sonne sich nicht sehen.
    »Da!«, zischte das Koboldmädchen plötzlich und zeigte auf ein hohes Gebäude, gegen dessen fensterlose Backsteinmauern das Kanalwasser schwappte. »Siehst du die Luke? Wenn du dich dünn machst, passt du vielleicht durch. Schwimm rüber, das will ich beschnuppern.«
    Vorsichtig ließ der Drache sich auf die Mauer zutreiben. Nur knapp über dem Wasserspiegel klaffte eine große Ladeluke. Die Holztür, die sie mal verschlossen hatte, hing verrottet in den Angeln. Mit einem Satz sprang Schwefelfell von Lungs Rücken, klammerte sich an die schartige Mauer und steckte schnuppernd den Kopf durch die Öffnung.
    »Scheint in Ordnung zu sein«, flüsterte sie. »Da ist seit Jahren kein Mensch drin gewesen. Nichts als Mäusedreck und Spinnen. Komm.«
    Wie der Blitz verschwand sie in der Dunkelheit. Lung stemmte sich aus dem Wasser, schüttelte sich und zwängte seinen schuppigen Leib durch die Luke. Neugierig sah er sich in dem Menschenhaus um. Er war noch nie in einem Gebäude gewesen. Es gefiel ihm nicht. Vor den feuchten Mauern stapelten sich große Holzkisten und verrottete Pappkartons. Schwefelfell beschnupperte alles interessiert, aber sie roch nichts Fressbares. Müde ließ Lung sich vor der Luke auf den Boden sinken und sah hinaus. Er war zum ersten Mal
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