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Drachenreiter

Titel: Drachenreiter
Autoren: Cornelia Funke
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   RATSCHLÄGE UND WARNUNGEN
     
     
    Schieferbart lag im Eingang seiner Höhle und lauschte dem Regen, als sie kamen. »Du hast es dir nicht anders überlegt?«, fragte er, als Lung sich neben ihm auf den felsigen Boden legte.
    Der junge Drache schüttelte den Kopf. »Aber ich werde nicht allein fliegen. Schwefelfell kommt mit.«
    »Sieh an.« Der alte Drache sah Schwefelfell an. »Gut. Sie kann dir nützlich sein. Sie kennt die Menschen, sie hat einen scharfen Verstand und ihre Art ist misstrauischer als unsere. Auf dieser Reise kann dir das nicht schaden. Nur ihr großer Appetit könnte ein Problem werden, aber an ein bisschen Hunger wird sie sich schon gewöhnen.«
    Schwefelfell betrachtete beunruhigt ihren Bauch.
    »Hört zu«, begann Schieferbart wieder, »ich erinnere mich nicht an viel. Die Bilder geraten mir immer häufiger durcheinander, aber so viel weiß ich: Ihr müsst zum höchsten Gebirge der Welt fliegen. Weit im Osten liegt es. Dort sucht den Saum des Himmels. Sucht eine Kette schneebedeckter Gipfel, die wie ein Reif aus Stein ein Tal umschließen. Die blauen Blumen dort ...«, Schieferbart schloss die Augen, »ihr Duft hängt nachts so schwer in der kalten Luft, man kann ihn schmecken.« Er seufzte. »Ach. Meine Erinnerungen sind blass und wie in Nebel gehüllt. Aber es ist ein wunderbarer Ort.« Der Kopf sank ihm auf die Tatzen, er schloss die Augen und sein Atem ging schwerer. »Da war noch etwas«, murmelte er. »Das Auge des Mondes. Ich kann mich nicht erinnern.«
    »Das Auge des Mondes?« Schwefelfell beugte sich über ihn. »Was soll das sein?«
    Aber Schieferbart schüttelte nur schläfrig den Kopf. »Ich erinnere mich nicht«, schnaufte er. »Hütet euch«, seine Stimme wurde so leise, dass sie kaum noch zu verstehen war, »hütet euch vor dem Goldenen.« Dann drang ein Schnarchen aus seinem Maul.
    Lung richtete sich nachdenklich auf.
    »Was meinte er damit?«, fragte Schwefelfell beunruhigt. »Komm, wir wecken ihn noch mal.«
    Aber Lung schüttelte den Kopf. »Lass ihn schlafen. Ich glaube, er kann uns nicht mehr sagen, als wir gehört haben.« Leise verließen sie die Höhle. Als Lung zum Himmel hochsah, war dort zum ersten Mal in dieser Nacht der Mond zu sehen.
    »Na, bitte«, sagte Schwefelfell und hielt die Pfote hoch. »Wenigstens regnet es nicht mehr.« Plötzlich schlug sie sich vor die Stirn. »Bovist und erdblättriger Schüppling!« Hastig ließ sie sich von Lungs Rücken gleiten. »Ich muss mir ja noch Proviant zusammenpacken. Wer weiß, in was für trost- und pilzlosen Gegenden wir landen. Bin gleich zurück. Aber«, drohend schwenkte sie einen pelzigen Finger vor Lungs Schnauze, »wehe, du kommst auf die Idee allein loszufliegen.« Dann verschwand sie in der Dunkelheit.
    »Du weißt nicht gerade viel über das Ziel deiner Suche, Lung!«, näselte die Ratte besorgt. »Du bist nicht geübt darin, deinen Weg nach den Sternen zu finden, und Schwefelfell ist meistens so sehr mit Pilzen beschäftigt, dass sie Süden mit Norden und den Mond mit dem Abendstern verwechselt. Nein.« Ratte strich sich über den Bart und blickte den Drachen an. »Glaub mir, ihr braucht Hilfe. Ich habe einen Vetter, der Landkarten zeichnet, ganz besondere Landkarten. Vielleicht weiß er nicht, wo der Saum des Himmels ist, aber bestimmt kann er dir sagen, wo du das höchste Gebirge der Welt findest. Flieg zu ihm. Es ist zwar nicht ganz ungefährlich, ihn zu besuchen, denn ...«, Ratte runzelte die Stirn, »er wohnt in einer großen Stadt. Aber ich glaube, du solltest es riskieren. Wenn du dich bald auf den Weg machst, kannst du in zwei Nächten dort sein.«
    »Stadt?« Schwefelfell tauchte wie ein Geist aus dem Nebel auf.
    »O verdammt, musst du mich zu Tode erschrecken?«, rief Ratte. »Ja, in einer Menschenstadt wohnt mein Vetter. Wenn ihr das Meer hinter euch gelassen habt und immer landeinwärts nach Osten fliegt, könnt ihr sie nicht verfehlen. Sie ist riesengroß, hundertmal größer als dieses Tal, voller Brücken und Türme. Mein Vetter lebt dort in einem alten Speicher am Fluss.«
    »Sieht er so aus wie du?«, fragte Schwefelfell und stopfte sich ein paar Blätter in den Mund. Auf ihrem Rücken trug sie einen prall gefüllten Rucksack, ein Beutestück von einem Ausflug in die Menschenwelt. »Klar, ihr Ratten seht ja alle gleich aus, grau, grau, grau.«
    »Eine sehr praktische Farbe!«, fauchte Ratte. »Im Gegensatz zu deinen albernen Flecken. Aber mein Vetter ist weiß, schneeweiß. Er bedauert
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