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Drachenreiter

Titel: Drachenreiter
Autoren: Cornelia Funke
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    SCHLECHTE NACHRICHTEN
     
     
    Nichts rührte sich im Tal der Drachen. Nebel trieb vom nahen Meer herbei und blieb zwischen den Bergen hängen. Vögel zwitscherten zaghaft in dem feuchten Dunst und die Sonne verbarg sich hinter den Wolken. Da huschte eine Ratte die Hänge hinunter. Sie überschlug sich, kugelte über die vermoosten Felsen und rappelte sich wieder auf. »Hab ich's nicht gesagt?«, schimpfte sie vor sich hin. »Hab ich's ihnen nicht gesagt?«
    Schnuppernd hob sie die spitze Nase, lauschte und lief auf eine Gruppe krumm gewachsener Tannen zu, die am Fuße des höchsten Berges standen.
    »Vor dem Winter«, murmelte die Ratte. »Schon vor dem Winter hab ich es gerochen, aber nein, sie wollten es nicht glauben. Sie fühlen sich hier sicher. Sicher! Pah!«
    Unter den Tannen war es dunkel, so dunkel, dass man den Spalt kaum sah, der in der Bergflanke klaffte. Wie ein Schlund schluckte er den Nebel.
    »Sie wissen nichts«, schimpfte die Ratte. »Das ist das Problem. Sie wissen gar nichts von der Welt. Nichts, überhaupt nichts.« Vorsichtig sah sie sich noch einmal um, dann verschwand sie in der Spalte. Eine große Höhle verbarg sich dahinter. Die Ratte huschte hinein, aber sie kam nicht weit. Jemand packte ihren Schwanz und hob sie in die Luft.
    »Hallo, Ratte! Was machst du denn hier?« Ratte schnappte nach den pelzigen Fingern, die sie festhielten, aber außer ein paar Koboldhaaren bekam sie nichts zu fassen. Wütend spuckte sie sie aus.
    »Schwefelfell!«, fauchte sie. »Lass mich auf der Stelle los, du hohlköpfige Pilzfresserin! Ich habe keine Zeit für Koboldscherze.«
    »Keine Zeit?« Schwefelfell setzte Ratte auf ihre Pfote. Sie war noch ein junges Koboldmädchen, klein wie ein Menschenkind, mit geflecktem Fell und hellen Katzenaugen. »Wieso, Ratte? Was hast du denn so Wichtiges vor? Brauchst du einen Drachen, der dich vor hungrigen Katzen beschützt?«
    »Ks geht nicht um Katzen!«, zischte Ratte wütend. Sie mochte Kobolde nicht. Aber alle Drachen liebten die Pelzgesichter. Sie lauschten ihren seltsamen kleinen Liedern, wenn sie nicht schlafen konnten. Und wenn sie traurig waren, konnte niemand sie besser trösten als so ein frecher, nichtsnutziger Kobold. »Wenn du es wissen willst, ich habe schlechte Nachrichten, sehr schlechte«, näselte Ratte. »Aber die werde ich nur Lung erzählen, ganz bestimmt nicht dir.«
    »Schlechte Nachrichten? Pfui, Schimmelpilz. Was denn für welche?« Schwefelfell kratzte sich den Bauch.
    »Setz - mich - runter!«, knurrte Ratte.
    »Na gut.« Schwefelfell seufzte und ließ Ratte auf den felsigen Boden hüpfen. »Aber er schläft noch.«
    »Dann werde ich ihn wecken!«, fauchte Ratte und lief tiefer in die Höhle hinein, dorthin, wo ein blaues Feuer brannte und Dunkelheit und Nässe aus dem Bauch des Berges vertrieb. Hinter den Flammen schlief der Drache. Er hatte sich zusammengerollt. Den Kopf hatte er auf die Tatzen gelegt. Sein langer, gezackter Schwanz, ringelte sich um das wärmende Feuer. Die Flammen ließen seine Schuppen leuchten und warfen seinen Schatten an die Höhlenwand. Ratte huschte auf den Drachen zu, kletterte auf seine Tatze und zupfte ihn am Ohr. »Lung!«, rief sie. »Lung, wach auf. Sie kommen!« Verschlafen hob der Drache den Kopf und öffnete die Augen.
    »Ach, du bist es, Ratte!«, murmelte er. Seine Stimme war ein bisschen rau. »Ist die Sonne schon untergegangen?«
    »Nein, aber du musst trotzdem aufstehen! Du musst die anderen wecken!« Ratte sprang von Lungs Pfote und lief unruhig vor ihm auf und ab. »Ich habe euch gewarnt. Aber ihr wolltet ja nicht hören.«
    »Wovon redet sie?« Fragend sah der Drache zu Schwefelfell hinüber, die sich ans Feuer gesetzt hatte und an einer Wurzel knabberte.
    »Keine Ahnung!«, schmatzte Schwefelfell. »Sie redet schon die ganze Zeit so wirres Zeug. Es passt eben nicht viel Verstand in so einen kleinen Kopf.«
    »Ach ja?« Ratte schnappte empört nach Luft. »Das, das ...«
    »Hör nicht auf sie, Ratte!« Lung stand auf, reckte den langen Hals und schüttelte sich. »Sie hat schlechte Laune, weil ihr Fell feucht ist von dem Nebel.«
    »Ach was!« Ratte warf Schwefelfell einen giftigen Blick zu. »Kobolde haben immer schlechte Laune. Seit Sonnenaufgang bin ich auf den Pfoten, um euch zu warnen. Und was ist der Dank?« Ihr graues Fell sträubte sich vor Ärger. »Ich muss mir ihre pelzigen Dummheiten anhören!«
    »Wovor denn warnen?« Schwefelfell warf den abgeknabberten Rest ihrer Wurzel gegen die
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