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Drachenreiter

Titel: Drachenreiter
Autoren: Cornelia Funke
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so lange geflogen. Seine Flügel schmerzten und die Stadt war voll von beunruhigenden Geräuschen und Gerüchen. Der Drache seufzte.
    »Was ist?« Schwefelfell setzte sich zwischen seine Tatzen. »Na, wer hat jetzt Heimweh?« Sie öffnete ihren Rucksack, holte eine Hand voll Pilze heraus und hielt sie ihm unter die Nase. »Hier, riech mal. Das vertreibt den Gestank von da draußen aus deiner Nase. Unserer Freundin Ratte hätte er bestimmt gefallen. Aber wir machen, dass wir hier schnell wieder wegkommen.« Tröstend streichelte sie Lung die schmutzigen Schuppen. »Schlaf jetzt. Ich leg mich auch ein bisschen aufs Ohr und dann geh ich los und suche Rattes Vetter.«
    Lung nickte. Die Augen fielen ihm zu. Er hörte, wie Schwefelfell leise vor sich hin sang, und es war fast so, als wäre er wieder in seiner Höhle. Seine müden Glieder entspannten sich. Der Schlaf griff mit weichen Fingern nach ihm - da sprang Schwefelfell plötzlich auf. »Da ist was!«, zischte sie.
    Lung hob den Kopf und sah sich um. »Wo?«, fragte er.
    »Hinter den Kisten!«, raunte Schwefelfell. »Du bleibst hier.« Sie schlich auf einen Stapel Kisten zu, der sich bis zur Decke türmte. Lung spitzte die Ohren. Jetzt hörte er es auch: ein Rascheln, das Scharren von Füßen. Der Drache richtete sich auf. »Komm raus!«, rief Schwefelfell. »Was immer du bist, komm raus.«
    Einen Augenblick war es still. Ganz still. Bis auf die Geräusche der großen Stadt, die von draußen hereinschwappten. »Komm raus!«, fauchte Schwefelfell noch einmal. »Oder soll ich dich holen?«
    Wieder raschelte es. Dann kroch ein Menschenjunge zwischen den Kisten hervor. Erschrocken wich Schwefelfell zurück. Als der Junge aufstand, war er ein ganzes Stück größer als sie. Ungläubig starrte er das Koboldmädchen an. Dann sah er den Drachen. Lungs Schuppen schimmerten trotz des Kanalwassers immer noch wie Silber und in dem engen Raum schien er riesengroß. Staunend, mit gebeugtem Hals blickte er auf den Jungen herab. Noch nie hatte Lung einen Menschen aus der Nähe gesehen. Er hatte sich Menschen anders vorgestellt nach dem, was Ratte und Schwefelfell ihm erzählt hatten - ganz anders.
    »Er riecht kein bisschen nach Mensch!«, knurrte Schwefelfell. Sie hatte sich von ihrem Schreck erholt. Feindselig musterte sie den Jungen, allerdings aus sicherer Entfernung. »Nach Mäusen stinkt er«, sagte sie. »Deshalb hab ich ihn nicht gerochen. Jawohl.«
    Der Junge beachtete sie nicht. Er hob die pelzlose Hand und zeigte auf Lung. »Das ist ein Drache!«, flüsterte er. »Ein echter Drache.«
    Zögernd lächelte er Lung an.
    Der Drache streckte ihm vorsichtig den langen Hals entgegen. Er schnupperte. Schwefelfell hatte Recht. Der Junge roch nach Mäusedreck, aber da war noch etwas anderes. Ein fremder Geruch, der auch draußen in der Luft hing - Menschengeruch.
    »Natürlich ist er ein Drache«, sagte Schwefelfell ärgerlich. »Und was bist du?«
    Überrascht drehte der Junge sich zu ihr um. »Oh, Mann«, stieß er hervor. »Du siehst auch nicht schlecht aus. Bist du ein Außerirdischer?«
    Schwefelfell strich sich stolz über das seidige Fell. »Ich bin ein Kobold. Siehst du das nicht?«
    »Ein was?«
    »Ein Kobold!«, wiederholte Schwefelfell ungeduldig. »Das ist typisch. Ihr Menschen wisst vielleicht gerade noch, was eine Katze ist, aber dann ist auch schon Schluss.«
    »Du siehst aus wie ein Rieseneichhörnchen«, sagte der Junge und grinste.
    »Sehr lustig!«, fauchte Schwefelfell. »Was machst du überhaupt hier? So ein halbes Menschlein wie du läuft doch normalerweise nicht allein herum.«
    Das Grinsen verschwand aus dem Gesicht des Jungen, als hätte Schwefelfell es weggewischt. »So was wie du läuft hier normalerweise auch nicht rum«, sagte er. »Und wenn du es genau wissen willst, ich wohne hier.«
    »Hier?« Schwefelfell sah sich spöttisch um.
    »Ja, hier.« Feindselig guckte der Junge sie an. »Jedenfalls im Moment. Aber wenn ihr wollt«, er sah den Drachen an. »Wenn ihr wollt, könnt ihr erst mal bleiben.«
    »Danke«, sagte Lung. »Das ist sehr freundlich von dir. Wie heißt du?«
    Der Junge strich sich verlegen das Haar aus der Stirn. »Ich heiße Ben. Und ihr?«
    »Das da«, der Drache stupste Schwefelfell die Schnauze in den Bauch, »ist Schwefelfell. Und ich heiße Lung.«
    »Lung. Das ist ein schöner Name.« Ben streckte die Hand aus und streichelte den Hals des Drachen. So behutsam, als fürchte er, Lung würde bei der ersten Berührung
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