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Drachenblut

Drachenblut

Titel: Drachenblut
Autoren: David Lee Parks
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herum? Kommen Sie, drüben in der Repro ist die Hölle los!«
        Fink schob seinen Stuhl zurück und erhob sich vom Schreibtisch. »Bin schon unterwegs.« Aber noch waren seine Gedanken mit dem Inhalt der Kleinanzeigen beschäftigt, und er fragte sich, was das nur für Menschen waren, die sich mit solchen absurden Angelegenheiten beschäftigten: Kunst vom Fließband, Feinstrumpfhosen, Möbelpolitur und der Sinn des Lebens! Und bei der Vorstellung, dass es sich bei diesen Verrückten um seine Nachbarn, ja um seine nächsten Mitarbeiter handeln könnte, wurde ihm ganz bange.
     

54
     
    Der Sturm hatte zwei Tage und zwei Nächte getobt, und dann war er so schnell vorüber, wie er aufgezogen war. Eine beachtliche Schneedecke hatte sich in diesen Tagen über das Land gelegt. Es war eine solche Menge, von der die alten Leute behaupteten, dass es früher im Winter immer so gewesen war, und wer von den Bewohnern der Stadt nicht aus dem Haus musste, der blieb daheim in der warmen Stube und wartete, bis der Alltag wieder geordnete Verhältnisse zuließ.
        Noch lange nachdem sein Gast gegangen war, saß Gott in seinem Sessel und starrte auf die gegenüberliegenden Bildschirme. Seine Augen waren auf einen Punkt fixiert, der jenseits der Monitore irgendwo im leeren Raum lag. In diesem Raum waren seine Gedanken auf Wanderschaft gegangen, ruhelos darum bemüht, Antworten auf die vielen Fragen zu finden, mit denen sich sein Gewissen quälte.
        Auf den Bildschirmen im Medienzentrum ging das Leben weiter. Die Akteure wurstelten sich irgendwie durch ihre Rollen, und sie setzten sich mehr oder weniger erfolgreich mit den kleinen und großen Katastrophen auseinander, mit denen ihr Bekenntnis zu den ihnen zugedachten Rollen täglich aufs neue eingefordert wurde.
        Jetzt, wo sie gegangen war, verblasste auch schon die Erinnerung an das unbeschreibliche Gefühl, das er in ihrer Gegenwart empfunden hatte. Gott fragte sich, ob es richtig von ihm gewesen war, seinen Gast ziehen zu lassen. Es hätte noch so vieles gegeben, über das sie sich miteinander hätten unterhalten können. Aber die Trennung war unvermeidlich gewesen. Ein immerwährendes Verharren in einem beliebigen Zustand bedeutete, den ewigen Kreislauf des Lebens zu unterbrechen, ja das Leben selbst zu verleugnen. Und so hatte sie wieder aufbrechen müssen, geblieben war ihm nur der Kieselstein, den er sich erschlichen hatte und den er fest in seiner Hand umschlossen hielt, als wäre es ein kostbares Juwel.
        Gott wischte sich eine winzige Träne aus dem Augenwinkel. Nur ungern gestand er sich ein, wie sehr ihm die emotionale Bindung zu seinen Geschöpfen zuweilen zusetzte. Er lachte und weinte mit ihnen, ärgerte und freute sich gemeinsam mit den Menschen. Es war ihm unmöglich, ihr Leben aus einer Distanz zu betrachten, die es ihm gestattet hätte, bei aller Unzufriedenheit oder Resignation, die ihn angesichts der Unvollkommenheit seiner Geschöpfe ergriff, gegenüber der Welt und auch dem Schicksal eines jeden einzelnen ihrer Bewohner gleichgültig zu sein. Er erkannte, wie sehr er doch in seinem eigenen Wesen und in seinen Gedanken von den Menschen beeinflusst war. Der ketzerische Gedanke drängte sich ihm auf, ob er denn überhaupt mehr war als die Summe dessen, was seine Geschöpfe ausmachten. Konnte es ihn auch ohne die Menschen geben? Oder war seine Existenz das Ergebnis einer kollektiven Vorstellung in den Köpfen von Milliarden von Menschen, die sich, ohne es zu wissen, zusammengetan hatten, um gemeinsam ein Ideal zu erschaffen, dem sie selbst als Einzelner niemals gerecht werden konnten? Wurde in ihm Bewusstsein zu Fleisch?
        Ein schwarzer Vogel ließ sich draußen vor dem Fenster nieder. Argwöhnisch verdrehte er seinen Kopf und schielte in das Zimmer herein. Dann hackte er mit seinem Schnabel gegen die Scheibe, als begehre er Einlass, aber wahrscheinlich pickte er nur nach den funkelnden Eiskristallen, die den Fensterrahmen wie Zuckerguss säumten.
        Gott fühlte sich nicht länger als Gönner. Er wollte sich nicht mehr als moralischer Richter geben, der den Menschen in jeder Hinsicht überlegen war. Sicherlich war er einzigartig, aber er begriff, dass er ein Teil dessen war, was er geschaffen hatte. Bei diesem Gedanken erfüllte ihn ein melancholisches Gefühl der Dankbarkeit. Gott erkannte, dass er nicht alleine war, er spürte die Kraft, die er aus dem Glauben der Menschen an ihn gewann. Wie konnte er über das bunte Treiben
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