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Drachenblut

Drachenblut

Titel: Drachenblut
Autoren: David Lee Parks
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zu, dass es sich bei ihm um eine reale Persönlichkeit handelte, der die bürgerlichen Rechte in vollem Umfange zustünden, wie jedem anderen rechtschaffenen Manne.
        Der Hinweis auf seine Persönlichkeit rief wiederum die Ingenieure auf den Plan, die die Software entwickelt hatten, der Virgil, nach dem Verständnis der Ingenieure, seinen Charakter und sein Wissen zu verdanken hatte. Ein asiatisches Firmenkonsortium beanspruchte die zur Debatte stehenden Rechte für sich, eben mit dem Hinweis auf sein Computerprogramm, das einen wesentlichen Anteil am psychologischen Profil von Virgil ausmachte. War es nicht sein Programm gewesen, das Virgil von einem eindimensionalen TV-Männchen zu einer wirklichen Persönlichkeit gemacht hatte? War nicht seine Software die Voraussetzung für die Existenz von Virgil als denkendes und fühlendes Wesen?
        Mit der Zeit wurde die Sache recht kompliziert. Ein findiger Advokat behauptete, es ginge gar nicht um irgendwelche bürgerlichen Grundrechte, sondern einfach um Urheberrechte. Nun stritten sich die Filmproduzenten, die Software-Entwickler und natürlich Virgil selbst um das Copyright an seiner Figur.
        Virgil wollte aber kein Besitz sein. Er wollte nicht Objekt sein, dessen man sich allenthalben bediente, wie es gerade beliebte. Diese ständigen Streitereien um seine Person zerrten an seinen Kräften. Als ihm die Sache schließlich zu dumm wurde, entschloss sich Virgil zu einem schnellen Abgang. Sollten sich die Fernsehzuschauer doch einen anderen Kasper suchen, für ihn war die Sache erledigt. Ohne Vorwarnung verschwand er von den Bildschirmen und war nicht mehr aufzutreiben
        Virgil war müde geworden. Erschöpft ließ er sich irgendwo im System nieder, schloss seine Augen und ließ seine Gedanken treiben. Mit all seinen Sinnen nahm er jene Empfindungen und Gefühle auf, deren Herkunft er sich nicht erklären konnte, die aber in jeder Sekunde durch den Äther zogen, durch seinen Körper flossen, von seinen Sinnen erfasst wurden und sich in seiner Phantasie zu einem neuen Ganzen fügten. In seinem Herzen entstand auf diese Weise ein Bild, das so niemals in der Realität existiert hatte, das aber alleine schon deshalb Wirklichkeit war, weil es war.
     
    Virgil stieß durch die Wolken und sah auf eine karge Winterlandschaft herab. Über allem lastete eine merkwürdige Stille, nicht ein Ton war zu hören, als gäbe es kein Leben, das sich gegen die Ruhe zur Wehr setzen wollte. Die Felder und Wiesen schliefen unter einer dicken Schneedecke. Wer konnte schon ahnen, wovon sie in den langen Winternächten träumten? Erst im Frühling würden sie zu neuem Leben erwachen und dem Wind und den Insekten ihre Geheimnisse zuflüstern. Ein Wispern und Tuscheln lag dann in der Luft, und eine innere Unrast war allerorten zu spüren, von der sich alle gerne anstecken ließen. Nur wer sich die Mühe machte, die Blütenpracht der Gräser und der Blumen genau zu studieren, und nur wer sich auf das Schauspiel einließ, das die großen und kleinen Tiere boten - der Balztanz des Wiedehopfs mit seinem prächtigen Gefieder, das Schillern der Schmetterlinge, die aufgeregt durch die Lüfte flatterten, das Brummen des Bären, der sich auf die Hinterbeine stellte und zufrieden über sein Revier blickte - nur der konnte die zauberhaften Kräfte erahnen, die hier am Werke waren. Aber noch war es Winter, und auf den Feldern und Wiesen glitzerten die Schneekristalle wie Zucker, der reichlich über das Land verstreut war.
        Doch dann war in der Weite der Landschaft eine Bewegung auszumachen. Virgil entdeckte eine junge Frau, die mit ruhigen Schritten den verschlungenen Weg entlang ging, der hinunter ins Tal führte. Die Frau war nackt, sie trug nicht ein Stück Stoff am Leib. Ihre Hände hatte sie schützend um den zierlichen Körper gelegt, und ihre Augen waren scheu zu Boden geschlagen, als fürchte sie sich davor, ihren Kopf zu erheben und mutig nach vorne zu sehen. In ihren schmalen Händen hielt die Frau vier Kieselsteine umschlossen, diese Steine waren das einzige Gut, das sie mit sich führte.
        Im Hintergrund, auf diese Entfernung nur unscharf zu erkennen, stellte sich ein altes Haus dem Winter entgegen. Das Haus trug eine Mütze aus Schnee, und aus dem Kamin stieg eine dünne Rauchfahne in den frostigen Himmel empor. Eines der Fenster wurde von einem warmen Licht erhellt. Im Gebäude selbst war niemand zu sehen, aber vielleicht hatten die Bewohner das Haus schon längst
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