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Drachenblut

Drachenblut

Titel: Drachenblut
Autoren: David Lee Parks
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einem Millionenpublikum zu präsentieren. Seine Sorge musste ab sofort den Einschaltquoten gelten, die über Wohl und Wehe seiner Zukunft entschieden.
        »Hallo, Regie, sind wir soweit?« Virgil strich sich die Haare zurecht, wischte sich ein paar Schuppen vom Kragen seines Jacketts und klopfte mit dem Knöchel der rechten Hand gegen das Mikrofon, das sich ihm entgegenstreckte. »Hallo Regie?«
        Noch wenige Sekunden, dann war Virgil auf Sendung. Diesem Auftritt fieberte er ungeduldig entgegen, denn es war ein wichtiger Schritt, mit dem er aus seiner Isolation ausbrechen und an die Öffentlichkeit treten wollte. Die Leute würden vielleicht Augen machen!
        ACHTUNG, ACHTUNG, WIR UNTERBRECHEN DIE SENDUNG FÜR EINE WICHTIGE MITTEILUNG! BITTE SCHALTEN SIE NICHT UM, ICH WIEDERHOLE: SCHALTEN SIE NICHT UM!
        Virgil setzte ein strenges Gesicht auf und schaute unsicher in die Kamera. Er war es nicht gewohnt, dass alle Welt auf ihn starrte, aber dann nahm er sich zusammen und trug den Text vor, den er auf einem zerknitterten Blatt Papier vorbereitet hatte.
        »Sehr geehrte Zuschauer, ich habe diese ungewöhnliche Form der Nachrichtenübertragung gewählt, um Ihnen eine Mitteilung zu machen, von der ich annehme, dass sie auch für Sie von Bedeutung ist.«
        Die Fernsehzuschauer wunderten sich noch über den komischen Kauz. Aber als sie erkannten, dass es sich bei der Sendung nicht um den angekündigten Werbeblock handelte, schalteten sie auf ein anderes Programm um, bevor Virgil seinen Satz überhaupt beendet hatte. Auf Kanal 87 hatte eine tapfere Hausfrau den Kampf gegen Bakterien und anderes Ungeziefer aufgenommen. Das war allemal interessanter und hauptsächlich leichter verständlich, als der Schwachsinn, den dieser seltsame Mensch von sich gab.
        Enttäuscht stelle Virgil fest, dass sein erster öffentlicher Auftritt im Hinblick auf die Quoten nicht unbedingt der Renner gewesen war. Aber so leicht ließ er sich nicht beirren. Er musste lediglich ausschließen, dass sich ihm der Fernsehzuschauer durch einfaches Umschalten auf ein anderes Programm entziehen konnte. Wenn er es geschickt anstellte, dann konnte er mit Millionen von Zuschauern auf Hunderten von Kanälen gleichzeitig kommunizieren. Er war zu jeder Tages- und Nachtzeit auf dem Bildschirm präsent, und niemand hätte mehr sagen können, wer der echte Virgil war, zumal das jede dieser Figuren von sich behauptete. Als virtuelles Wesen spazierte er durch wichtige Werbemitteilungen, nahm aktiv am Geschehen spannender Kriegsfilme teil und tauchte überall dort auf, wo ihn niemand erwartete. Niemand wusste, wer er war oder woher er kam, aber mit der Zeit gewöhnte sich das Publikum so an seine Allgegenwart, dass er aus der Fernsehunterhaltung nicht mehr wegzudenken war.
        Zunächst war Virgil nur als ein Produkt der Film- und Fernsehwelt angesehen worden. Er war einfach »der Neue«, der irgendwie mit Hilfe ausgeklügelter Computergrafiken auf den Bildschirmen der Nation sehr realistisch zum Leben erweckt wurde. Hinter den Kulissen der Traumfabrik herrschte anfangs einige Verwirrung, weil niemand für diesen Charakter verantwortlich sein wollte, der zu allen möglichen passenden und unpassenden Gelegenheiten auf dem Bildschirm auftauchte. Erst als man entdeckte, dass mit Virgil gutes Geld zu verdienen war, entbrannte unter den Fernsehproduzenten der Streit darüber, wer denn nun die Rechte an ihm besäße. Bis zur endgültigen Klärung des Sachverhalts wurde über Virgil einfach verfügt, ohne ihn oder sonst jemanden lange um Erlaubnis zu fragen.
        Die Auseinandersetzung war von Virgil selbst in Gang gesetzt worden, als er eines Tages beschlossen hatte, für seine Auftritte vor der Kamera eine Gage zu fordern, so wie es von einem Schauspieler eben üblich war. Natürlich wurde dieses Ansinnen von den Produzenten rundheraus abgelehnt. Wo würde das noch hinführen, wenn eine fiktive Figur ihren eigenen Kopf durchsetzen wollte? Das ganze System der Fernsehunterhaltung würde völlig außer Kontrolle geraten! Die Produzenten argumentierten sie hätten Virgil erschaffen und zum Leben erweckt. Er sei also firmeneigenes Produkt, über das sich frei verfügen ließe und das keinen Anspruch auf Bezahlung seiner Arbeit hätte.
        Virgil konterte, dass er sich selbst erschaffen habe, er sei aber keineswegs lediglich fiktiv. Sein Charakter, seine Intelligenz und seine Präsenz im der Fernsehen ließen wohl keinen Zweifel
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