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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex
Autoren: T. C. Boyle
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Ehrgeiz: ein repräsentativer Querschnitt. Doch bei der letzten Zählung hatten wir etwas weniger als zwanzig Prozent davon. Und er hatte diverse andere Bände geplant, um all die Daten, die wir hatten, zu verarbeiten: Dem Band über das sexuelle Verhalten der Frau sollte einer über Sexualstraftäter folgen, doch im Augenblick ist alles im Fluß. Als sie ihn ins Krankenhaus brachten, waren seine letzten Worte an mich: »Tut nichts, bevor ich zurück bin.« Ich weiß nicht. Im Augenblick bin ich zu verwirrt, um ein klares Urteil abgeben zu können, aber wenn es für all das – seine Erschöpfung, die Belastung seines Herzens, der er schließlich erlag – einen Katalysator gab, dann war es der Band über das sexuelle Verhalten der Frau. Nicht einmal drei Jahre nach dem Erscheinen war er tot.
    Verlage benutzen immer das Klischee »mit Spannung erwartet« im Zusammenhang mit gewöhnlichen, stereotypen Büchern, von deren Existenz niemand etwas ahnt, doch ich kann sagen, daß Das
    sexuelle Verhalten der Frau der explosivste und der mit der größten Spannung erwartete Titel des Jahrhunderts war. Alles, was beim Erscheinen des ersten Bandes so hervorragend funktioniert hatte – die Einweisung der Presse, die sorgfältige Bewachung der Fahnenab- züge, die Geheimhaltung und Wachsamkeit –, galt nun in doppeltem Maße. In den Monaten vor dem Erscheinen lud Prok die Presse zu einer Reihe von Vorträgen ein, gab den Journalisten Gelegenheit, den engsten Kreis seiner Mitarbeiter kennenzulernen, und führte ausführliche Gespräche unter vier Augen bis tief in die Nacht, worauf sie Einblick in die Fahnen nehmen durften und seinen Standardvertrag unterschreiben mußten, in dem sie sich verpflichteten, ihre Artikel auf 5000 Wörter zu beschränken und nicht vor dem 20. August 1953 – »K-Day«, wie ein Witzbold gesagt hatte – zu veröffentlichen. Die Spannung war so groß, daß wir das Erscheinungsdatum vom 14. auf den 9. September vorverlegen mußten, denn die Buchhändler kümmerten sich nicht um die Anweisungen und Bitten von Saunders Company und stellten das Buch in die Regale, sobald sie eine Lieferung bekommen hatten. Wie nicht anders zu erwarten, waren die Verkaufszahlen spektakulär und in den ersten Wochen doppelt so hoch wie beim ersten Band.
    Doch dann setzte, wie Sie sicher wissen, die Gegenreaktion ein. Nicht daß wir nicht damit gerechnet hätten – Prok hatte uns von Anfang an darauf hingewiesen, daß die Öffentlichkeit auf Enthüllungen über die weibliche Sexualität ganz anders reagieren werde als auf Erkenntnisse über den männlichen Teil der Spezies, daß es aber dennoch absolut notwendig sei, unsere Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, denn die Leute müßten, wie er gern sagte, einfach lernen, der Realität ins Auge zu sehen. Der Band über das sexuelle Verhalten des Mannes war zwar schockierend gewesen, insbesondere im Hinblick auf vor- und außerehelichen Verkehr und die Häufigkeit von H-Verhalten, doch die allgemeine Öffentlichkeit hatte die Sittlichkeit des männlichen Teils der Bevölkerung ohnehin nur mit einer gewissen Skepsis betrachtet. Nun aber, da dieselben Kategorien auf Frauen angewendet wurden, lag der Fall vollkommen anders.
    Ob es Prok gefiel oder nicht – man hatte Frauen tatsächlich auf ein Piedestal gehoben, sie waren Ehefrauen, Töchter, Mütter, und man sah in unserem Buch weniger eine wissenschaftliche Studie als vielmehr einen Angriff auf die amerikanische Frau. Man wollte Frauen nicht als »menschliche Säugetiere« bezeichnet sehen (diese Bezeichnung kommt im Text etwa achtundvierzigmal vor) und kritisierte Proks positive Einschätzung vorehelichen Verkehrs (unsere Statistiken untermauerten, was ich Iris schon vor so langer Zeit auf dem Rücksitz des Nash gesagt hatte: Frauen, die voreheliche sexuelle Erfahrungen gemacht hatten, gelang eine befriedigende Anpassung an das Eheleben leichter als anderen). Man haßte unsere Statistiken und das, was sie implizierten: daß auch Frauen sexuelle Wesen waren, daß 62 Prozent von ihnen masturbiert hatten, daß 90 Prozent Petting praktiziert hatten, daß 50 Prozent vorehelichen Verkehr und 3,6 Prozent Verkehr mit Tieren gehabt hatten. Mütter und Töchter, die Verkehr mit Tieren hatten (wobei gesagt werden muß, daß nur eine einzige Probandin einen vollen Koitus mit ihrem Hund, einem deutschen Schäferhund, wenn ich mich nicht irre, vollzogen hatte und daß unsere mit Abstand aktivste Probandin nicht mehr als etwa
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