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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex
Autoren: T. C. Boyle
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war wieder sein vertrautes Gesicht: die Augen, die einen festhielten, der triumphierende Zug um den Mund. »Genau.«
Ich spürte, wie ich ruhiger wurde, wie die Drehzahl meines Motors sank, und es war keine Hypnose im Spiel. Es waren keine Tricks oder Taschenspielereien nötig, auch keine Psychoanalyse. Es war nur Prok, Prok selbst. Meine Frau hatte mich verlassen, Elster war ein Krebsgeschwür, ich hatte meinen Gott für einen Augenblick vom Podest gestürzt, und doch ließ ich mich in das Polster sinken, als hätte ich keinerlei Sorgen.
»Und mit demselben Recht haben Frauen – wie du, wenn schon nicht empirisch, dann wenigstens intuitiv bereits weißt – noch eine ganz andere Seite«, fuhr er fort, »und da wird es für viele Männer schwierig. Für dich, John. Für dich.« Er schaltete in den Vortragsmodus, fand seinen Rhythmus und genoß es offensichtlich, und ich entspannte mich. Es gab nichts, was ich tun, was ich sagen konnte. Ich hielt mich an den Armlehnen fest. Ich hörte zu. Wahrscheinlich hätte ich mir Notizen machen sollen.
»Frauen sind nicht die Initiatoren sexueller Aktivität, wie du weißt, vielmehr reagieren sie darauf. Die Erregung erfolgt durch Berührung. Männer dagegen, durchschnittliche Männer, sind von der Pubertät bis zum Greisenalter oder wenigstens bis zum Klimakterium jeden Tag ihres Lebens mehrmals erregt. Mental erregt. Erregt vom Anblick weiblicher Formen, von Bildern, Musik, Kunstwerken, von den Phantasien, denen sie sich hingeben, wohingegen Frauen nur selten durch etwas anderes als Körperkontakt erregt werden und die männlichen Geschlechtsorgane im allgemeinen abstoßend und häßlich finden. Daher ist es wenig verwunderlich, daß sie in die Rolle der Hemmenden gedrängt wurden, der Prüden, der Hüterinnen dessen, was die Gesellschaft als ›Moral‹ bezeichnet.« Er hielt inne und sah mich bohrend an. »Verstehst du? Verstehst du, was ich sagen will?«
Nein, ich verstand nicht. Aber dies war kein Gespräch, jetzt nicht mehr.
»John. Ich will damit sagen, daß du bei deiner Frau berücksichtigen musst ... Wenn sie weiterhin verklemmt ist, dann liegt das zum Teil sicher an ihrem Wesen, aber auch und zum größeren Teil an ihrer Akkulturation, und es kann sich nur ändern, wenn sie sich dem, was wir hier zu erreichen suchen, ganz öffnet. Wie Violet Corcoran, zum Beispiel. Oder Hilda, Vivian Brundage oder Corcorans junge Freundin – Betty, nicht? Diese Dinge sind nicht in Stein gemeißelt. Denk an die physiologische Reaktion, John. Physiologisch .«
Mir fiel etwas ein, das Prok nach einem Vortrag, in dem das Wort »Nymphomanie« vorgekommen war, im vertraulichen Gespräch zu einer Frau gesagt hatte. Eine Nymphomanin, hatte er erklärt, ist eine Frau, die mehr Sex hat als Sie. Punkt.
Ich schwieg einen Augenblick und sagte dann, er habe recht und ich würde darüber nachdenken, absolut, denn Iris brauche mehr Erfahrung, mehr Abwechslung, mehr Körperlichkeit. Für einen kurzen Moment war ich wieder in dem Speicherzimmer, die Brüste der Frauen glänzten vor Schweiß, die Männer waren gierig und hatten Erektionen, und alle hatten meine Hoffnungen und Ängste und Unzulänglichkeiten gesehen. »Du hast recht«, wiederholte ich, »ja, du hast recht.« Aber dann brach meine Stimme, und auch ich wäre um ein Haar vor ihm zusammengesunken. »Prok«, sagte ich unglücklich, absolut unglücklich, so unglücklich wie nie in meinem Leben, »Prok, ich liebe sie.«
Das Wort schien an ihm abzuprallen wie eine Flipperkugel an einem Bumper. Liebe – ein Wort, das in einem wissenschaftlichen Wortschatz vermutlich nicht vorkam. Doch das muß man ihm lassen: Er zollte dem Wort Respekt. »Ja«, sagte er trocken, »und ich liebe Mac. Und meine Kinder. Und auch dich, John.«
Er lehnte sich zurück und ließ den Blick schweifen. In den Rohren über uns tickte es, die Sonne goß für einige Augenblicke ihr Licht durch die Fenster und verschwand. Das Gespräch war vorüber. Aber da war noch etwas – ich konnte es ihm ansehen. Er richtete den Blick wieder auf mich, und ein Anflug von Selbstzufriedenheit huschte über sein Gesicht. »Übrigens bin ich ganz kurzfristig gebeten worden, zwei Vorträge in Michigan City zu halten«, sagte er. »Wir werden den Aufenthalt natürlich nutzen, um Geschichten aufzuzeichnen. Zwei Übernachtungen im Hotel.« Er hielt inne, nahm den Stift, der auf der einen Ecke des Schreibtischs lag, und legte ihn auf die andere. »Ich dachte, du möchtest vielleicht
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