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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex
Autoren: T. C. Boyle
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braunes Band mit einer hauchdünnen Schicht, auf der alles verzeichnet ist, was ich in meinem Leben gefühlt habe. Es ist heiß. Glühendheiß. Kein Lüftchen regt sich. Iris ist im Wohnzimmer. Sie trägt ihr schwarzes Kleid, trinkt Eistee und blättert in einer Illustrierten, und John junior ist, von der Bürde des Trauerns befreit, draußen im Garten oder im Nachbargarten und spielt Ball oder rennt mit seinen Freunden durch die Wasserstrahlen des Rasensprengers. Wenn ich mich konzentriere, kann ich ihre Rufe und Schreie hören.
Aber Prok. Das ist meine Erinnerung an ihn, so will ich ihn in Erinnerung behalten:
    Ich sehe Corcoran und mich am Bordstein vor Wylie Hall halten, es ist ein Wintertag vor fünf oder sechs Jahren. Wir sitzen in Corcorans Cadillac und sind müde nach der Fahrt von New York hier- her – die Straßen waren glatt und voller Schlaglöcher und anderer Gefahren. Wir haben nicht übernachtet und einander am Steuer abgelöst, und ich habe ein flaues Gefühl im Magen von den vielen Tassen Kaffee und dem Schnellimbiß-Spezialmenü in irgendeiner Stadt, deren Namen ich bereits vergessen habe. Wir haben eine kostbare Fracht: eine Reihe überlebensgroßer Tonmodelle, die Robert Latou Dickinson zusammen mit seiner Bibliothek, den von ihm aufgezeichneten Sexgeschichten, seinen Sex-Tagebüchern und seiner ErotikaSammlung dem Institut vermacht hat. Es sind Modelle der menschlichen Genitalien beim Koitus, etwa fünffach vergrößert, so daß der Penis beinahe einen Meter lang und die aus Ton modellierte Vagina entsprechend groß ist. Alles in allem haben wir sieben dieser Modelle transportiert, und angesichts ihrer Sperrigkeit war es gar nicht so leicht, sie auf den kalten Straßen von New York unter den Augen einer nicht unerheblichen Menge Neugieriger im Kofferraum und auf dem Rücksitz des Wagens zu verstauen, und jetzt stehen wir müde und erschöpft vor der Frage, wie wir sie schnell und sicher aus dem Wagen und die Treppe hinunter, den Korridor entlang und in die Bibliothek schaffen sollen, ohne allzuviel Aufsehen zu erregen.
    Prok hat uns brieflich und telefonisch Ratschläge gegeben, sehr detaillierte Ratschläge im Hinblick auf die Route, die Verpackung der Modelle, die effektivste Reisegeschwindigkeit, die Länge der Pausen und die vertrauenswürdigsten Schnellimbisse, und wir haben beide seine Stimme im Kopf, als wir die Türen öffnen und das erste Modell ausladen, das von dem riesigen zerbrechlichen Penis. Es ist windig. Ein kalter Regen hat eingesetzt. Wenn ich ausrutsche, ist das Modell für immer zerstört. Ich will das hier nur hinter mich bringen, ich will nach Hause zu Iris und meinem Sohn, ich will am Kamin sitzen, in der Hand ein Glas Bourbon und im Bauch etwas Warmes, Gesundes. Ich bin abgelenkt. Ich bin nicht bei der Sache. Ich ziehe in eine Richtung und Corcoran in die andere.
    Da höre ich Prok hinter mir. »Tut mir leid, Milk«, sagt er, »aber wie ich sehe, hast du nicht die leiseste Ahnung, wie man einen Wagen auslädt. Komm«, sagt er, »laß mich das machen«, und ich spüre, wie er mir die Last abnimmt, und es ist, als hätte es sie nie gegeben.
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