Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dr. Ohio und der zweite Erbe

Dr. Ohio und der zweite Erbe

Titel: Dr. Ohio und der zweite Erbe
Autoren: Mark Stichler
Vom Netzwerk:
Man sollte doch meinen, dass Sie Ihrem Richter gegenüber in Ihrer letzten Stunde   etwas   aufmerksamer sind.“ Er zeigte mit Daumen und Zeigefinger die minimale Aufmerksamkeit, die er erwartete. „Und Sie können sicher sein: Das ist der Rest Ihres Lebens, Sie ignoranter Japaner ... So eine Unverschämtheit. Verdammt.“ Er sprang auf und holte mit der Pistole zum Schlag aus, zögerte aber plötzlich und fixierte einen Punkt auf dem Parkettboden. Dann setzte er sich wieder. Dr. Ohio war zusammengezuckt und hatte instinktiv den Arm zur Abwehr gehoben. Er fragte sich, ob Wieri wohl etwas gegen Asiaten hatte. Es war bereits das zweite Mal, dass er sich über seine Herkunft in abfälliger Art und Weise geäußert hatte.
    „Warum, Doktor?“, flüsterte Wieri noch einmal. Ohio kannte solche Stimmungsschwankungen von seinen Patienten, war aber doch überrascht über Wieris abrupten Wechsel.
    „Na ja.“ Er klang fast ein bisschen verlegen. „Eine unglückliche Verkettung von Umständen, würde ich sagen.“
    Wieri schüttelte den Kopf und warf wieder einen Blick auf den Fußboden. Schnell wischte er mit dem Fuß darüber und rutschte dann in die Ecke seines Sessels.
    „So etwas gibt es nicht. Alles ist vorherbestimmt. Alles liegt in Gottes Hand und alles ergibt einen Sinn. Wie sollte sich uns Gottes Wille erschließen, Doktor? Wie könnten wir uns anmaßen zu wissen, warum all das geschieht? Wir alle erfüllen nur unsere Pflicht.“
    „Ja, Wieri, so wird es sein. Wir alle erfüllen auf jeden Fall unsere Pflicht, wenn Gottes Wege unergründlich sind, wie Ihre Theologen so schön sagen. Das heißt aber auch, wenn Sie die Pistole jetzt weglegen und mit mir kommen, tun Sie das Richtige, es führt zum Ziel. Alles führt zum Ziel.“
    Wieri starrte ihn an und dann wieder, mit wachsender Besorgnis, auf die Stelle auf dem Fußboden. Er schüttelte den Kopf.
    „Nein, nein, Doktor.“ Er verzog seine dünnen, blassen Lippen zu einem gequälten Lächeln. „So ist es nicht. Wir müssen auf uns hören. Ganz tief innen ... Ich weiß, was ich zu tun habe. Meine Aufgabe ist noch nicht erledigt.“
    „Sie maßen sich also doch an zu wissen, welche Wege Gott einschlägt?“, fragte Dr. Ohio. Er spürte, dass Wieri sich verwirren ließ, von ihm und von irgendetwas, das er auf dem Fußboden sah.
    „Ich bin mit den Sternen gezogen und sie haben mich hierher geführt, Doktor. Warum, glauben Sie, bin ich hier hereingekommen?“ Das fragte sich Ohio allerdings auch. „Ich bin hier durchmarschiert und Ihre versammelten Pfleger, Ärzte, das Personal ... niemand hat mich gesehen. So etwas nenne ich ein Zeichen. Ich bin auf dem richtigen Weg. Gott führt mich.“
    „In Gottes Ewigkeit macht es doch nichts aus, ob ich jetzt oder in 20 Jahren sterbe, Wieri“, sagte Dr. Ohio. Er wunderte sich kurz darüber, dass er bereit war, um sein Leben zu kämpfen, ärgerte sich aber gleichzeitig darüber. Kontraproduktiv, dachte er. Das gehört nun wirklich nicht hierher.
    Wieder schüttelte Wieri langsam den Kopf und wischte ängstlich mit dem Fuß über den Boden.
    „Doktor, Sie sind Sand im Getriebe des Fortschritts. Sie halten die Zukunft auf.“
    Dr. Ohio musste kurz lachen. Ausgerechnet ein religiöser Fanatiker erzählte ihm etwas von Fortschritt.
    Inzwischen war es ganz Nacht geworden, der letzte rote Streifen des Tages hatte sich hinter den bewaldeten Hügeln verabschiedet. Nur die Stehlampe gab ihr warmes, nicht sehr kräftiges Licht ab, ansonsten saßen sie in einem schwarzen Loch, außerhalb von Zeit und Raum. Dr. Ohio spürte seine Beine nicht mehr und wusste nicht, ob er, würde er jetzt plötzlich aufspringen und die Lampe umstoßen, um ins Schlafzimmer zu der Pistole und zum Telefon zu gelangen, nicht einfach umknicken und hinfallen würde. Er konnte nicht einschätzen, ob Wieri tatsächlich schießen würde, aber er hielt es für sehr wahrscheinlich. Ihm wurde klar, dass er handeln musste, bevor Wieri mit seiner Litanei zu Ende gekommen war. Denn zu Ohios Glück war der Finne jemand, der seine Handlungen gern erklärte und verstanden werden wollte. Aber irgendwann würde ihm nichts mehr übrig bleiben, als zu schießen und Gottes Willen zu vollenden. Und der Finne war nicht zimperlich. Das hatte er schon mehr als einmal unter Beweis gestellt. Also musste Ohio ihn überraschen.
    „Da schauen die Sterne auf uns herab, Doktor, und warten darauf, dass sich unser Schicksal erfüllt“, sagte Wieri gerade.
    „Bis vor kurzem haben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher