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Dr. Ohio und der zweite Erbe

Dr. Ohio und der zweite Erbe

Titel: Dr. Ohio und der zweite Erbe
Autoren: Mark Stichler
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Beteiligung an Wieris Anschlägen ab und versuchte, seine Fassade durch einen halbherzigen Anfall von Entrüstung zu wahren. Dann beeilte er sich, alles für den Notartermin vorzubereiten. Er war einfach unverbesserlich. Und eins musste man ihm lassen: Er gab sich nie geschlagen. Immerhin war er noch offizieller Testamentsverwalter von Höpfners Erbe – und dieses Amt würde er ausüben, bis ihm jemand eine Mitschuld an den Vorfällen nachweisen konnte.
    Der Anwalt war offensichtlich der Meinung, dass es sich ohne Rückgrat am besten leben ließ und dass man mit schlangengleicher Gewandtheit immer einen Ausweg finden konnte. Positionen und Haltungen waren für ihn wie geschmeidige Anzüge, die sich beliebig anlegen und wieder ablegen ließen. Nur Idioten würden sich auf so etwas Sperriges wie eine Meinung festlegen. Für Laudtner war die Wahrheit nur eine Frage des Standpunkts. Und so hoffte er immer noch, sich für Boris unentbehrlich zu machen, und versuchte ihn sanft davon zu überzeugen, dass er das, was er für Höpfner getan hatte, genauso gut auch für ihn tun könne.
    Boris wusste noch nicht, was er überhaupt tun sollte, aber so viel war klar: Mit Dr. Laudtner wollte er nicht weitermachen. Das würde den Ruin für dessen Anwaltskanzlei bedeuten, aber außer Laudtner selbst ahnte das noch niemand. Er hatte die Geschäfte mit seinen zahlreichen Entnahmen und seiner doppelten Buchführung in die Nähe des Ruins geführt. Das Einzige, was ihm blieb, war zu versuchen, seine Karten bei Boris mit liebesdienerischer Aufmerksamkeit und opportunen Vorschlägen zu verbessern. Wieri blieb verschollen. Eine erste, intensive Fahndung nach dem Calvinisten verlief ohne Erfolg, was verwunderte, da man aufgrund des seltsamen Verhaltens, das Boris bei dem Brand auf Adlers Bauernhof beobachtet hatte, annahm, dass er wohl nicht mehr ganz Herr all seiner Sinne war. Aber die Kommissarin beruhigte Ohio: Wieri zu finden, sei nur eine Frage der Zeit. Und seine Motivation zum Morden – so drückte die Kommissarin das aus – war ihm jetzt, da Schmidt zum Alleinerben erklärt worden war, ja hoffentlich genommen. Dr. Ohio war da skeptisch. Diese Schlussfolgerung setzte einen kühlen Kopf und logisches Denken voraus. Bei Wieri war beides wahrscheinlich nicht mehr vorhanden.
    Ohio kam vom Mittagessen, als er die Auffahrt der Villa hinunterschlenderte. Boris hatte ihn und Erika eingeladen. Er hatte sich in der Villa seines Onkels einquartiert und irgendwie schien alles nahtlos seinen Gang zu gehen. Die Angestellten übernahmen ihre Pflichten, als sei Höpfner nie gestorben oder durch eine wundersame Kur nur um 30 Jahre jünger wiedergeboren. Hanne, die Haushälterin, dieses in Höpfners Diensten früh verblühte Geschöpf, verwöhnte ihn wie einen kleinen Jungen, wie einen verloren geglaubten Sohn. Die Köchin zauberte Höpfners Lieblingsgerichte auf den Tisch. Vielleicht würde Henrik, der Gärtner, auch neuen Kies für die Auffahrt besorgen. Aber Henrik war schon immer ein bisschen nachlässig gewesen.
    Dr. Ohio hatte sich ziemlich unbehaglich gefühlt, als sie in dem großen, stickigen Speisezimmer saßen. Wegen der Hitze draußen waren die Jalousien halb heruntergelassen und es herrschte ein angenehmes Dämmerlicht. Und doch: Trotz der zusammen durchstandenen Aufregungen und Erlebnisse der vergangenen Tage stand er Boris wie einem Fremden gegenüber. Vielleicht lag es daran, dass auch Boris sich fremd fühlte in diesem Haus, das er nur aus seiner Kindheit flüchtig kannte und dem noch das Flair seines Onkels anhing. Aber vor allen Dingen war er nervös wegen Erika. Dr. Ohio merkte es, als Boris sie herumführte. Er redete viel, trank viel, erzählte von den Veränderungen, die er hier machen wolle. Er war nicht unhöflich, aber er sprach die ganze Zeit unwillkürlich mit Erika. Sie wollte er beeindrucken, ihre Meinung war ihm wichtig. Er achtete auf jede ihrer Regungen. Strich sie über den dünnen Vorhang, der in der leichten Brise flatterte, weil er ihr gefiel? Mochte sie den großen Raum mit seiner herrschaftlichen Einrichtung, oder war sie eher für etwas Modernes? Bilder, ja, klar, aber abstrakt oder realistisch, expressionistisch, impressionistisch, futuristisch, grafisch ...?
    Seine überdrehte Fröhlichkeit verließ ihn das ganze Essen über nicht. Vielleicht, sagte er, würde er ja doch wieder alles hinwerfen und zurückgehen nach Épernay in seinen Wohnwagen. Blick auf Erika. Keine Reaktion. Ruhig schnitt sie an einem
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