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Dr. Ohio und der zweite Erbe

Dr. Ohio und der zweite Erbe

Titel: Dr. Ohio und der zweite Erbe
Autoren: Mark Stichler
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ausgezeichneten Boeuf Bourguignon, sagte wenig und gab keine Hinweise darauf, ob sie mit Boris’ Plänen, Vorhaben, Änderungen einverstanden war oder nicht, ob sie im Geringsten Interesse daran hatte, ob sie überhaupt bemerkte, dass er nur auf einen Wink von ihr wartete, um zu erfahren, was er tun sollte.
    Vielleicht, sagte er, würde er alles hier rausreißen lassen und einen luftigen Raum mit hellen Möbeln schaffen, eine verglaste Wand, die sich zurückschieben ließ, um den Sommer hereinzulassen. Erika sah sich kurz um und verzog unbestimmt den Mund.
    „Das finde ich eine gute Idee“, sagte Dr. Ohio mitleidig. Abgesehen davon, dass Boris ihm leidtat, fand er es wirklich eine gute Idee. Wenn Boris hierbleiben wollte, dann war es wichtig, etwas zu verändern, um nicht im Familiengrab seiner Erinnerungen und den Ausdünstungen seines alten, toten Onkels zu ersticken.
    Nach dem Essen stand Ohio schnell auf, obwohl er es als unhöflich empfand, und verabschiedete sich. Er sei müde ... Boris warf ihm einen dankbaren Blick zu und brachte ihn zur Tür.
    „Wir bleiben in Kontakt“, sagte er.
    „Natürlich.“ Dr. Ohio lächelte unverbindlich und sagte, schon wegen seines Bruders würden sie sich ja bestimmt bald wiedersehen.
    „Ich habe Ihnen so viel zu verdanken ...“ Boris nickte und stand unschlüssig in der Tür, als wolle er noch etwas sagen.
    Dr. Ohio zog die Augenbrauen hoch und winkte ab.
    Ein Hupen riss ihn aus seinen Gedanken. Er drehte sich um. Der Asphalt der Landstraße schien zu kochen, so heiß war es. Am Straßenrand staubte heller Sand, ein paar Büschel vertrocknetes Gras krallten sich hinein. Erika war hinter ihm in der Kurve auf den Seitenstreifen gefahren und stieg aus.
    „Doktor ...!“, rief sie. Der Fahrtwind eines vorbeifahrenden Wagens riss ihr die folgenden Worte vom Mund und wirbelte sie davon. Dr. Ohio spürte den Luftzug heiß in seinem Gesicht.
    „Wie bitte?“, fragte er.
    „Warum sind Sie denn so schnell verschwunden?“ Sie kam näher, stand vor ihm und strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Ich habe doch gesagt, ich würde Sie mitnehmen.“
    Dr. Ohio lächelte.
    „Ich weiß. Aber ich dachte ...“ Er stockte. Er hatte gedacht, es wäre an der Zeit, Boris und Erika mal einen Augenblick allein zu lassen. Aber jetzt, wo sie vor ihm stand, kam es ihm albern vor.
    „Ich dachte, Sie wollten vielleicht noch bleiben. Und ich wollte gehen.“
    „Mhm“, machte sie. Auf ihrer Oberlippe hatten sich ein paar kleine Schweißperlchen gebildet. Dr. Ohio zog sein Taschentuch heraus und gab es ihr. Erika tupfte sich die Oberlippe und die Stirn ab. Hätte er ...? Er kam sich vor wie ein dummer Pennäler, der seinem Schwarm gegenübersteht. Zwei Klassen über ihm und immer mit den großen Jungs unterwegs. Es war lächerlich – und im selben Augenblick dachte er an Brigitte. Sie hatte ebenfalls Urlaub genommen und war zu einer Freundin gefahren. Nach Neapel, hatte ihre Assistentin gesagt, und Ohio hatte einen kleinen Stich gespürt. Morgen wollte sie zurückkommen von ihrer Reise. Einer Reise, auf der sie sich klar werden wollte über ihr künftiges Leben.
    Du lieber Himmel, man sollte meinen, das ganze Sanatorium war von Ärzten entvölkert, verlassen. Eine Epidemie. Lediglich die Patienten waren noch da und führten ihr irres Regiment. Alle anderen waren unterwegs auf Sinnsuche. Nur die Kranken wissen, dass es so etwas nicht gibt.
    Erika trat näher und gab ihm das Tuch zurück. Sie blickte über die sanft abfallenden Hügel der Obstwiesen hinunter zu dem kleinen Bach und den Weiden. Weiter hinten schwamm in der stehenden, flirrenden Luft blaugrün der Wald. Träge hingen ein paar Vögel im Himmel.
    „Ob es wohl noch regnet heute?“, fragte Dr. Ohio zusammenhanglos. Erika antwortete nicht. Sie lehnte sich leicht gegen ihn und er spürte ihre warme Haut an seinem Arm. In seinem Magen wühlte etwas, und er war sich nicht sicher, ob es Freude oder Angst war. Die Hitze machte ihn träge. Er sah Erika einen Augenblick an. Sie lächelte. Beinahe widerwillig legte er den Arm um sie und drückte sanft ihre Schulter an sich. Bevor sie sich ganz zu ihm umdrehen konnte, ließ er sie wieder los. Was war das? Erika sah ihn stirnrunzelnd an und er musste lachen.
    „Lassen Sie uns fahren“, sagte er.
    „Doktor ...“
    Er sah sie einen Moment lang an, dann stiegen sie ein. Ohio fläzte sich auf den Beifahrersitz und summte eine kleine Melodie vor sich hin. Erika gab verbissen Gas und raste die
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