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Dr. Ohio und der zweite Erbe

Dr. Ohio und der zweite Erbe

Titel: Dr. Ohio und der zweite Erbe
Autoren: Mark Stichler
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reingekommen?“, hörte er sich fragen. Als Antwort kam ein Kichern, aber jetzt aus einer anderen Richtung.
    „Au.“ Ein dumpfer Schlag gab Ohio recht. Wieri war gegen die Kante des Schranks gelaufen.
    „Durch die Tür, Doktor“, sagte er. „Sie glauben doch nicht, dass mich so ein armseliges Schloss aufhält?“
    „Wir haben schon gedacht, Sie wären tot. Im Wald wurde ein ausgebranntes Auto gefunden und keine Spur von Ihnen. Wir haben uns Sorgen gemacht“, plapperte Ohio drauflos, um Zeit zu gewinnen.
    „Das glaube ich gerne“, kicherte Wieri. „Sie haben allen Grund, sich Sorgen zu machen.“ Plötzlich schaltete er die Stehlampe bei der Couch ein. Dr. Ohio zuckte zusammen.
    „Kommen Sie hier herüber.“ Der Finne winkte mit der kleinen Pistole in seiner Hand. „Setzen Sie sich hin.“ Er deutete auf die Couch. Automatisch knipste Ohio das Licht in der Küche aus und ging hinüber. Wieri ließ sich langsam ihm gegenüber auf einem Sessel nieder und starrte ihn mit brennenden Augen gierig an.
    Er sah verheerend aus. So als hätte er die letzten Tage in der Wildnis zugebracht, ohne etwas Vernünftiges zu essen und ohne eine Schlafgelegenheit. Seine dünnen Haare hingen ihm strähnig ins Gesicht, seine Kleider waren fleckig und verschmiert von Öl und Dreck. Die wasserhellen Augen leuchteten fanatisch aus seinem schmalen Gesicht, als wollten sie die Welt überschwemmen. Über Stirn und Wange liefen dünne, blutige Kratzer und rote Striemen, wahrscheinlich von zurückschnellenden Ästen.
    „Du meine Güte, Wieri!“, rief Dr. Ohio aus. „Wie sehen Sie denn aus? Wir müssen Sie ja erst mal versorgen. Sie bluten ja im Gesicht. So kann ich Sie unmöglich rumlaufen lassen. Sie müssen was essen und trinken, bevor wir weiterreden. Später können Sie mir immer noch alles erzählen. Du meine Güte.“ Er sprang schnell auf. „Ich werde Verbandszeug holen.“
    Wieri war verwirrt. Mit großen Augen saß er da und starrte Dr. Ohio an, der Anstalten machte, hinüber ins Bad zu gehen. Er war schon fast im Gang, von wo aus er zur Tür hinaus oder ins Schlafzimmer hätte flüchten können, als Wieri ein kreissägekreischendes „Halt!“ ausstieß, aufsprang und mit seiner Pistole fuchtelte.
    „Setzen Sie sich sofort wieder hin!“, schrie er hysterisch.
    „Schon gut, schon gut“, murmelte Dr. Ohio und hob andeutungsweise die Hände. „Ich wollte nur helfen.“ Er setzte sich wieder. „Wieri, Sie brauchen Hilfe.“ Wie könnte er hier rauskommen, wie jemanden auf sich aufmerksam machen?
    Wieri lachte wild.
    „Ich brauche keine Hilfe!“, rief er draufgängerisch und ein bisschen zu pathetisch. „Sie brauchen Hilfe!“
    „Was wollen Sie eigentlich?“, fragte Dr. Ohio. „Und vor allem von mir? Die Sache ist vorbei, erledigt. Sie haben keine Chance mehr.“ Er sah Wieri ungläubig an. „Oder haben Sie es noch gar nicht mitbekommen? Schmidt hat das Erbe angetreten und bereits ein eigenes vorläufiges Testament hinterlegt. Die Stiftung wird es nie geben. Nie.“
    Wieri hörte ihm zu und schmunzelte amüsiert.
    „Wenn es diese Möglichkeit noch gäbe, Doktor“, sagte er langsam und deutlich, „dann wäre ich jetzt nicht hier, sondern in Höpfners Haus bei Schmidt. Aber so ...“ Er hob matt und schicksalsergeben die Hände.
    „So ...?“, fragte Dr. Ohio und spürte ein leichtes Kribbeln in den Fingerspitzen, als wären ihm die Hände eingeschlafen. Wieri war verrückt, daran gab es keinen Zweifel. Und er war hier, um Rache zu nehmen, oder was? Um Vergeltung zu üben? Immerhin wollte er reden, das war gut. Ansonsten hätte er ihn schon längst über den Haufen geschossen und irgendwelche religiösen Symbole in seine Haut geritzt oder etwas ähnlich Geschmackloses unternommen.
    Über den Haufen geschossen, wiederholte sich Ohio stumpf. Er starrte die Pistole in Wieris Hand an. Langsam dämmerte ein Bild in ihm auf ... die Pistole ... na klar. Dass ihm das nicht gleich eingefallen war. Er hatte doch die Pistole von Höpfner. Sie musste in seinem Schlafzimmer sein. Er hatte sie in der Schublade seines Nachttischs verstaut. Und im Schlafzimmer gab es auch ein Telefon, von dem aus er Hilfe rufen konnte.
    „Warum, Doktor?“, fragte Wieri und sah ihn mit brennenden Augen, den Tränen nahe, an, während Ohio überlegte.
    „Wie bitte?“, fragte Dr. Ohio zerstreut.
    Wieri traute seinen Ohren nicht. Wütend schlug er mit der Faust auf den Couchtisch.
    „Was? Ich bitte mir etwas mehr Aufmerksamkeit aus, Doktor.
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