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Ich zog mit Hannibal

Ich zog mit Hannibal

Titel: Ich zog mit Hannibal
Autoren: Hans Baumann
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T ana und Morik kamen vom Wasser holen. Auf dem Rücken hatten das Mädchen und ihr Bruder je eine Hälfte des Tragsattels, unter dem der Esel, der mit ihnen die Flucht überstanden hatte, zum Brunnen getrottet war. Nicht ganz ein Jahr hatte der Esel durchgehalten, dann hatten sie ihn mit ausgedorrten Erdbrocken zugedeckt. Der Vater hatte den Sattel in der Mitte auseinander geschnitten und so zugerichtet, dass er auf die Schultern der Kinder passte. Seit gut einem Jahr war es ihre Sache, Wasser herbeizuschaffen. Tag für Tag gingen sie zumindest zweimal den Weg, den der Esel und sie ausgetreten hatten: bei Tagesanbruch und gegen Abend, wenn über den westlichen Bergen im Himmel ein rotes Loch war, das größer wurde, ehe es hinter den Bergen versank. An manchen Tagen war schon am Mittag kein Wasser mehr in den Krügen und dann mussten sie ein drittes Mal gehen   – wenn die Sonne über dem Meer stand und das Meer so heftig glänzte, dass es den Augen wehtat. Die Sohlen brannten vom Weg und um die Köpfe hatten Tana und Morik Tücher gewickelt, besonders im Juli und im August.
    Nun war Anfang Oktober. Früher als im August wurde die Sonne zu dem runden riesigen Loch im Westen, aus dem rotes Licht über das verbrannte Land floss.
    »Jetzt tut sie den Augen nicht mehr weh«, sagte Tana.
    Morik sah nicht zur Sonne hin. Sein Blick ging voraus.
    »Wenn er heute wieder dort gräbt, müssen wir ihn gleich sehen«, sagte er und ging rascher.
    Tana ließ ihren Bruder vorausgehen. Er war zwölf, sie war fast vierzehn und sie konnte es nicht lassen, auf ihn aufzupassen, obwohl er im letzten Jahr derart aufgeschossen war, dass er ihr über den Kopf wuchs. Sie wurde die Sorge nicht los, die Schlepperei könnte ihm eines Tages zu viel werden. Die hohen, unten spitz zulaufenden Krüge, die in den Sattelhälften steckten, waren bis zum Rande voll und zogen nach hinten. Über die Schultern nach vorne hingen Steigbügel. In die Bügel hatten Tana und Morik die Arme so weit geschoben, dass sie mit ihren Ellbogen die Last halten konnten. Bis zum Brunnen hatten sie fast eine Stunde zu gehen. Gutes Wasser gab es nur im Kastell. Der Weg dorthin führte quer durch die Stadt. Tana und Morik gingen über die Häuser, weil das einfacher war, als den Straßen zu folgen. Die Straßen waren unter Mauerbrocken und Asche verschwunden. Die ganze Stadt, einst ein mächtiger Ort nahe der Küste, war dem Erdboden gleichgemacht, und das war so gründlich geschehen, dass aus den Häusern Schutthügel, aus den Kellern Höhlen geworden waren. In einer dieser Höhlen hausten Tana und Morik mit Vater und Mutter seit gut zwei Jahren.
    Ihr »Haus« war ihnen von denen zugewiesen, die nun die Herren im Lande waren, Haus und ein Stück Land, größer als die Felder, die sie verloren hatten. An die hundert Familien, denen nach einem Barbareneinfall das nackte Leben geblieben war, hatten dieRömer hierher an die Südküste der iberischen Provinz geführt. Ihnen lag daran, die tote Stadt wieder zum Leben zu bringen. Doch als die Vertriebenen gesehen hatten, dass es statt der Häuser nur Schutt gab, dass Felder und Gärten verwildert und die Zisternen in Schlamm erstickt waren, hatten sich viele auf der Stelle geweigert, hier Hand anzulegen, und die es versucht hatten, waren bis auf neun oder zehn Familien im ersten Jahr wieder abgewandert. Die wenigen, die blieben, hielt nicht der spärliche Ertrag der Äcker zurück, auch nicht, was die Küste hergab. Sie hatten auf die Schutthügel gesetzt und in den Nächten heimlich zu graben begonnen. Hartnäckig hielten sie sich an das Gerücht, dass während der Belagerung alles Gold und Silber der Stadt an einer Stelle zusammengetragen worden sei   – in einem Schacht, überdeckt von einer eisenbeschlagenen Falltür, versteckt unter Schutt. Nacht für Nacht hatten im ersten Jahr Ausgräber in den Trümmern gewühlt, erst neun oder zehn, dann fünf, dann drei, zuletzt nur noch einer.
    Dieser eine hatte es über zwei Jahre versucht und ihm hatten Tana und Morik in vielen Nächten geholfen   – bis vor einer Woche.
    Außer verrottetem Zeug hatten sie nichts gefunden. »Gut, dass Vater aufgeben will«, sagte Tana.
    Morik war stehen geblieben. »Sieh hin, er gräbt an der gleichen Stelle wie seit drei Tagen!«, flüsterte er. »Und er tut es am helllichten Tag.«
    Des Mannes wegen, den er graben sah, hätte er nicht zu flüstern brauchen. Der Mann war weit genug weg.
    »Was kümmert das uns!« Tana wollte ihn
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