Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornröschenschlaf

Dornröschenschlaf

Titel: Dornröschenschlaf
Autoren: Alison Gaylin
Vom Netzwerk:
verstehen.
    Jetzt bekam auch Carol nur noch mühsam Luft. »Wer ist da?«
    Neben dem Rauschen drang erneutes Flüstern an ihr Ohr – noch immer stimmlos, aber besser zu verstehen.
    Dann hörte sie ein Klicken, hielt aber den Hörer weiter in der Hand. Sie hatte nicht die Kraft, ihn auf die Gabel zurückzulegen, und sie konnte nichts gegen das Kribbeln ihrer Haut und das Rauschen des Bluts in ihren Ohren
tun.
    Â»Sie sind nicht meine Mom«, hatte die Anruferin gesagt. »Sie sind nicht meine Mom, Carol.«

1
    Â»Bist du bereit, Brenna?«, fragt Dr. Lieberman.
    Â»Ja.«
    Dr. Lieberman drückt den Abspiel- und den Aufnahmeknopf des Kassettenrekorders, der am äußeren linken Rand seines Schreibtischs steht. Er hat jede Menge Kassettenrekorder in seiner Praxis, geht es Brenna durch den Kopf. Es ist der 29. Juni 1985. Dies ist ihr sechsundvierzigster Besuch bei diesem Psychiater, und jedes Mal wenn sie erscheint, scheinen es noch mehr Aufnahmegeräte geworden zu sein.
    Drei kleine, batteriebetriebene Geräte liegen in der obersten Schublade des Schreibtischs, und dann sind da noch das Spulentonbandgerät hinter dem Tisch neben dem Schwarzweißfoto von Bob Dylan mit Cowboyhut – Brennas Mutter zufolge ein echter Elliot Landy (wer auch immer Elliot Landy ist) – und der Rekorder mit dem großen silberfarbenen Mikrophon, den Dr. Lieberman immer zur Aufnahme von Brennas Sitzungen benutzt. Der Rekorder vermittelt ihr ein seltsames Gefühl. Als wäre Dr. Lieberman Joe Friday aus Polizeibericht und sie irgendein Hippie, den er vernimmt (Brenna liebt alte Krimiserien).
    Â»Dein Name?«, fragt Dr. Lieberman.
    Brenna rutscht auf ihrem Stuhl herum. Die Klimaanlage läuft auf vollen Touren, aber draußen ist es heiß, und deshalb trägt sie ihre aquamarinblauen Dolphin-Shorts. Wenn sie sich bewegt, bleibt das Leder an der Unterseite ihrer nackten Schenkel kleben, und wenn es sie wieder freigibt, hört man ein peinliches, schmatzendes Geräusch. Sie schwitzt. Aber wer würde das wohl nicht, wenn er … Nun, Mom nennt es »ein bedeutsames Forschungsprojekt«, aber Brenna sieht es eher als »Verbiegen ihres Hirns«.
    Â»Name«, sagt Dr. Lieberman noch mal.
    Â»Brenna Nicole Spector.«
    Â»Alter?«
    Â»Vierzehn sieben Achtel.«
    Dr. Lieberman schenkt ihr ein Lächeln. »Na, heute sind wir aber sehr genau.« Er trägt einen über und über mit Hunden und Feuerwehrhydranten bedruckten, leuchtend roten Schlips. Dr. Lieberman hat eine Million derartiger Schlipse, die Brennas Mutter »drollig«, Brenna aber einfach nur »idiotisch« nennt – wobei sich die Idiotie der Muster von Schlips zu Schlips exponentiell zu steigern scheint. Sie fragt sich, ob Dr. Lieberman diese dämlichen Krawatten trägt, weil sie ihm tatsächlich gefallen, oder ob er denkt, dass sich seine jungen Patienten wohler fühlen, wenn er lustig gekleidet ist. Hoffentlich gefallen sie ihm, denn sie selbst fühlt sich bei ihrem Anblick alles andere als wohl, aber gerade als sie ihm das sagen will, meint Dr. Lieberman »13. März 1982«, und sie wird einfach so drei Jahre und drei Monate zurückkatapultiert.
    Sie war elfeinhalb, und es war ihr dritter Besuch in dieser Praxis. Anstelle von Bob Dylan hing ein Druck von einem Bild von einem Buntglasfenster – blühende Zweige über einem blauen See – und darunter die Worte »New American Wing. Metropolitan Museum« an der Wand hinter dem Tisch.
    Am 13. März 1982 roch es in der Praxis wie in Brennas Küche, wenn die Kaffeekanne schon seit längerem nicht mehr gesäubert worden war. Dr. Lieberman trug einen braunen Schlips mit dem großen, roten S von Superman, und als er lächelte, fiel Brenna ein Mohnsamen zwischen seinen beiden Vorderzähnen auf. Sie war sich immer noch nicht sicher, ob er ihr sympathisch war. Es war entsetzlich heiß in seiner Praxis, und sie hatte leichte Kopfschmerzen. Am liebsten hätte sie um eine Aspirin gebeten, doch sie hatte das Gefühl, als kenne sie ihn dafür noch nicht gut genug, und deswegen hielt sie die Schmerzen einfach weiter aus, als er den Abspiel- und Aufnahmeknopf des großen Kassettenrekorders betätigte und ihr erklärte: »Also gut, Brenna, ich stelle jetzt ein paar Klötze auf den Tisch.« Dann klingelte sein Telefon.
    Â»Am 13. März 1982 habe ich ein paar Klötze aus einer Schachtel
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher