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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition)
Autoren: Rocko Schamoni
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die Lichter aus, da ist dann nix mehr von wegen: «Hilfe, wer bin ich? Bin ich eine Katze oder eine Kuh? Können Sie mir helfen, mich zu finden?» Und was sollten mein Bruder und ich von einer meckernden Ziege halten, die sich ins Badezimmer verirrt hatte? Inka brauchte viele Stunden, erst im Morgengrauen fand sie zu sich selbst zurück und kroch erschöpft ins Bett.
    Mein Vater bekam ihre Abflüge irgendwann mit, und eines Tages stellte er sie in ihrem schielenden Zustand zur Rede. Daraufhin rückte sie freiwillig ihre Reserven raus, und er schmiss sie ins Klo. Das tat ihr sehr weh. Nach einem Jahr verließ uns Inka, sehr zu unserem Bedauern, um wieder nach Guatemala zu gehen.

Im Bauch einer Pyramide der Jugend
    Achim hatte sich einen Job bei Bauer Nold geangelt und half dort jeden Tag. Er durfte Trecker fahren, die Kühe ausmisten, die Schweine treiben, und er bekam seinen Lohn in qualmender Währung ausgezahlt: HBs (Hitlers Beste, wie unter vorgehaltener Hand gefeixt wurde). Manchmal auch fünf Mark. Er war der zugelaufene Wunschsohn der Familie, denn der Bauer hatte nur eine Tochter.
    Ich beneidete ihn. Ich fand das so cool: richtig arbeiten, mit echten Tieren umgehen, Maschinen führen, rauchen. Achim bot mir an, auch für mich eine Stelle zu besorgen. Bauer Nold sagte nur zögernd zu, er traute der Lehrerbrut nicht.
    Ich kam jeden Tag, schuftete für zwei und tat alles, um bäuerlich anerkannt zu werden. Ich mistete den Kuhstall aus, häckselte die Rüben für die Kühe, wendete die Silage, packte Strohkloppen, trieb die Schweine und Hühner.
    Irgendwann durfte ich das erste Mal den Mister fahren, einen schmalen kleinen Trecker mit Hydraulikschaufel, der in die engen Gänge der Kuhställe passte. Ich war unglaublich stolz, die verantwortungsvolle Millimeterarbeit des Mistrauskarrens ausführen zu dürfen. Achim brachte mir alles bei. Ich war ein guter Mister.
    Wenn der Bauer Mittagsstunde machte, verzogen wir uns in Höhlen, die wir im gigantischen Heuboden gebaut hatten. Zu denen führten enge Gänge durch das Heu, durch die man auf allen vieren kriechen musste und die nur wir kannten. Kein Erwachsener kam je dorthin, niemand wusste davon. Es waren geheime Kammern in der Pyramide der Jugend. Sicherer konnte man auf der Welt nicht sein, als wenn man durch die spärlich beleuchteten Fellgänge gekrochen war und in die weiche Grabkammer gelangte. Es roch muffig nach Heu, und in den Sonnenstrahlen, die durch die kleine Dachluke einfielen, konnten wir die Millionen Staubpartikel sehen, die wir einatmen mussten. Alle Jungs, die auf dem Hof arbeiteten, kannten diese Geheimzone und kamen ab und zu mit. Aber Achim und ich waren die Pharaonen. Wir hockten in der Kammer, redeten und rauchten. Mittendrin im trockenen Heu. Es ist nie was passiert, komischerweise.
    Bauer Nold hatte einen Vater, der die graue Eminenz des Hofes war. Wir nannten ihn nur den «Alten». Er konnte es nicht lassen, sich in alles einzumischen und in allem Recht zu haben. Wie ein alter, dicker Napoleon stolzierte er über den Hof und gab Befehle. Wenn er auftauchte, hieß es schleunigst abtauchen, um nicht sofort verdienstet zu werden. Zum Steinesammeln tuckerte der Alte mit mir und Achim auf einem alten Fahrtrecker auf den Acker. Wir saßen hinten auf dem Hänger. Am Ziel angekommen, fuhr er den Trecker langsam über die morastige Erde und zeigte mit seinem Krückstock auf die Brocken und Findlinge, die wir zum Hänger schleppen sollten. «Hoch die Nuss», pflegte er zu sagen. Er schliff uns, bis uns die Zunge aus dem Hals hing. Das mochte er gerne. Wenn der Hänger voll war, ging’s zurück zum Hof. Einmal schnappte sich Achim während der Rückfahrt heimlich den Stock des Alten, den dieser hinter den Fahrerstuhl geklemmt hatte. Vorsichtig schob Achim den Stock von hinten unter dem dicken Schenkel des Alten und dessen rechtem Fuß bis zum Gaspedal und drückte dies unvermittelt voll durch. Das schepprige Gefährt machte einen Satz und röhrte dann mit qualmenden vierzig Stundenkilometern ins Dorf hinein. Der Alte fing an, panisch zu werden, und schrie sinnlose Befehle in die Gegend, die in diesem Fall keiner ausführen konnte. Der Schweiß rann ihm den dicken Nacken runter, er strampelte und versuchte, das vermeintlich verklemmte Gaspedal zu lösen. Achims Trick durchschaute er nicht, denn wie bei vielen alten Traktoren war der Auspuff auf der Motorhaube angebracht, und so saß der Alte in einer Fahne aus Qualm, den die geschundene Maschine
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