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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition)
Autoren: Rocko Schamoni
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Elektromeisters, trug weite, schwarze Glockenjeans und war schon früh im Stimmbruch. Er strahlte eine große Souveränität aus, und man war stolz, wenn er seine Zeit mit einem verbrachte.
    Am Teich war ein Anhänger als Jäger- oder Anglerunterkunft abgestellt. Mit einem Messer ritzten wir menschliche Umrisse in das lackierte Blech und exekutierten diese Gestalt anschließend hundertfach mit Diabolos, das waren so kleine eierbecherförmige Bleigeschosse. Checker hatte eine neue Luftpistole mit Drehmagazin, die man nicht nachladen musste, sie machte bestimmt hundert Schuss am Stück. Ich besaß eine Milbro G2, die billigste Luftpistole, die es damals zu kaufen gab, sie kostete 18 Mark 50 inklusive 500 Diabolos und fünf Reinigungspfeilen.
    Als uns das Schießen auf den Anhänger zu langweilig wurde, sahen wir uns nach anderen Zielen um. Wir wurden auf ein paar in der Nähe weidende Kühe aufmerksam, und uns fiel auf, wie ideal die weißen Flecken als Schussziele taugen würden. Aber um unsere Treffer nachweisen zu können, mussten wir die Reinigungspfeile verwenden, denn sie hatten bunte Federn am Ende und würden nicht im Fleisch verschwinden, sondern gut sichtbar draußen stecken bleiben. Ich suchte mir eine Kuh aus, deren weißer Fleck entfernt einem menschlichen Umriss ähnelte. Langsam trottete der weiße Felltyp auf der Kuh über die Wiese. Ich versuchte, ihn am Kopf zu treffen, der gleichzeitig der Hintern der Kuh war. Ich erwischte ihn voll, und die Kuh machte einen Riesensatz, direkt in den Strom führenden Weidezaun. Das sah lustig aus. Leider konnten wir nicht alle Pfeile verschießen, denn im Affentempo kam ein Ford Granada den Feldweg zum See runtergeheizt. In ihm saß der Besitzer der Kühe, Bauer Erich Stolpe.
    (Welches ist der schwulste Name der Welt: Erich – vorne er und hinten ich … ham wir gelacht.) Obwohl er uns eindeutig erkannt hatte, flüchteten wir durch sein Kornfeld, trampelten die Ähren um und versteckten uns stundenlang irgendwo im Wald. Unsere Schießübungen wurden nie geahndet, was einzig und allein damit zusammenhängen konnte, dass Bauer Erich ein okayer Typ war und in seiner Jugend wohl ähnliche Sünden begangen hatte.
    Das Schwarzpulver hatte ich mit Joachim Becker, Sohn eines Chemikers und selbst auch Chemiegenie, hergestellt. Wirfüllten es in kleine Briefchen zu fünf Gramm ab und verkauften es nach der Schule an der Bushaltestelle. Wenn man es anzündete, verbrannte es sprühend und erzeugte stinkenden Qualm. Die Fahrer fluchten, wenn wir das Zeug vor ihren Bussen losließen. Die Haltestelle sah oft aus wie ein Kriegsschauplatz, dunkle Wolken stiegen auf. Man konnte das Pulver aber auch in Zeitungspapier einrollen und daraus Dynamitstangen basteln. Schon am dritten Tag – unser Handel war schwunghaft angelaufen – wurde ich mit circa zehn Briefchen erwischt und unserem Direx vorgeführt. Er hielt mir eine zwanzigminütige Standpauke über die Gefährlichkeit unserer Knallerei und drohte mir mit Schulausschluss, falls ich mich nochmals erwischen lassen sollte. Mein Vater, der an der Schule unterrichtete, bekam nichts mit. Zum Glück.
    Wir stellten die Produktion ein, und die Freundschaft zwischen Joachim und mir, die stark von unserem geschäftlichen Verhältnis abhängig gewesen war, verdorrte.
    Mein Waffenfetischismus muss etwas mit meinem Wunsch nach Härte zu tun gehabt haben. Ich wollte hart sein, hart wie Rocker oder Berg-und-Tal-Bahn-Kassierer (die, die immer aufsprangen und mitfuhren, um die Chips zu kassieren), oder wie Disco-Acer mit dünnem Oberlippenbart, Röhrenjeans und Mittelscheitel.
    Alle Dorfjungs wollten gerne hart sein. Wer nicht als hart galt, konnte nicht mitreden. Jede Verletzung kam einem Orden gleich; je mehr man aufweisen konnte oder je schlimmer sie waren, desto mehr Ansehen brachten sie einem bei den anderen.

Der Magier
    Eines Tages tauchte John Scholl bei uns auf. Er war ein Künstler, den meine Eltern in Guatemala kennen gelernt hatten, wo er mit seiner Frau und seinen Kindern viele Jahre gelebt und gearbeitet hatte. Ein besessener Maler, der alles, was er berührte, sofort mit einer Schicht Farbe überzog. Er schleppte riesige etymologische Wörterbücher und Dialektatlanten mit sich herum und referierte ständig über die Bedeutung von Wörtern. Er kannte sich mit Sprachen wirklich aus. Wenn ich ihn in seinem Zimmer neben unserer Diele besuchte, erklärte er mir konspirativ, woher das Schlechte in der Welt kam.
     
    Er: DOG-GOD,
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