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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition)
Autoren: Rocko Schamoni
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SH-Punk
    Ich war Roddy Dangerblood. Bis ich 19 war.
    Dann wurde ich zu Rocko Schamoni.
    Vor alldem hatte ich einen ganz normalen bürgerlichen Namen. Das ist schon so lange her, dass er mir fast entfallen ist. Nur wenn der Staat mich in Form irgendeiner Behörde herbeizitiert und nicht begreift, dass ich einen neuen, cooleren Namen habe, muss ich mir diese abgestoßene Haut wieder überziehen. Seltsam, von Fremden mit einem Namen angesprochen zu werden, mit dem mich meine Eltern das letzte Mal riefen, als ich noch Teenager war. Ich bin dann jedes Mal um mein Erwachsensein beraubt, um einen Großteil meiner Geschichte, sitze auf dem Amt als alter Jugendlicher. Das sind Wurmlöcher durch die Zeit. Gegraben von nichts ahnenden Beamten. Aber ich verrate ihnen nichts davon, sie sollen keine Macht über mich haben.
     
    Ich komme von der Ostsee, ich war SH-Punk. SH steht für Schleswig-Holstein. Dies ist eine Geschichte von Ufern. An die Wellen schlugen. Sie kamen aus England, breiteten sich dort sehr schnell aus, sprangen aufs Festland über, setzten die Großstädte unter Wasser und flossen von dort aus weiter, um später in der Provinz zu verebben. Jahre später. 1975 in England ausgebrochen, 1981 bei uns verebbt. In uns. Ein Jugendtsunami.
    Und es ist eine Geschichte von verschiedenen Wegen, erwachsen zu werden. Von Wegen, die die Zeit für uns bereithielt. Ich konnte es mir gar nicht anders aussuchen. Das Schicksal hatte bestimmt, dass ich Punk werden sollte. Niemand Geringeres als das Schicksal.
     
    Ganz grob gesehen besteht mein Leben aus zwei Teilen.
    Aus meiner Kindheit und dem Rest.
    Der Rest begann, als ich circa zwölf Jahre alt war.
    Davor war meiner Erinnerung nach alles in Ordnung, irgendwie alles normal. Ich war ganz in der Welt, ich sah mich nicht getrennt, reflektierte nicht über sie, nahm sie, wie sie war, freute mich über das meiste, benutzte zur Kommunikation die Sprache, mit der ich aufgewachsen war, die man mir beigebracht hatte. Eine ziemlich ideale Welt. Eine Zen-Welt. Eine Welt in Watte.
    Dann aß ich vom Baum der Erkenntnis und wurde aus dem Paradies vertrieben.

Schmalenstedt, schöner sterbender Schwan
    1976 in Norddeutschland, genauer gesagt: Schmalenstedt an der Ostsee. Fünftausend Einwohner, CDU-regiert, nächste größere Stadt: Kiel. Viel Wald, Bäche, Seen, Hügel, eine Endmoränenlandschaft, geformt in der Eiszeit. Man nennt es die Holsteinische Schweiz, idyllisch, relativ unberührte Natur, das meiste Land in Adelshand. Und totaler Totentanz.
    Es gab eine Kooperative Gesamtschule mit 1600 Schülern. Ein großes Einkaufszentrum, ein paar Kneipen, Restaurants und eine Disco: Meier’s. Ansonsten war Schmalenstedt eine sterbende Stadt.
     
    Meine Eltern hatten sich für relativ wenig Geld ein altes Bauernhaus in einem Vorort Schmalenstedts gekauft, einem Dorf mit vielleicht dreihundert Einwohnern. Kleine Häuser, Vorgärten, Deutschlandfahnen (heute gepaart mit Ferrari-Motiven), Garagen, niedrige Hecken. Und sieben aktive Bauernhöfe.
    Das Haus war schön, groß und alt, von 1877, ziemlich renovierungsbedürftig, umgeben von einem 2000 Quadratmeter großen Grundstück mit Obstbäumen, das total verwildert vor sich hin wucherte. Es lag an einem Hang mit Aussicht auf das Dosautal, eines der letzten Urstromtäler Norddeutschlands, in der Mitte ein kleiner Fluss, die Dosau eben. Auf der anderen Talseite ein säumender Wald, den ich später als den Geisterwald kennen lernen sollte.
     
    Am Anfang war es wunderbar für mich und meinen Bruder, das alte Haus zu erforschen, Dachböden und Abseiten zu entdecken, Verstecke, Dinge, die der Vormieter vergessen oder verloren hatte. Es roch nach Staub und alten, tragischen Geschichten, Geschichten vom Verlust des Eigenheims. Immer wieder eingemauerte Rechnungen. Wenn mein Vater eine Wand einriss, fand sich oft eine eingemauerte Rechnung darin. Darüber mussten wir dann jedes Mal wieder lachen. Gute Idee, Rechnungen einzumauern, wenn man kein Geld hat. Fanden wir.
    Mein Bruder und ich bekamen gegenüberliegende Zimmer im oberen Stockwerk des Hauses, nah genug, um in einem ständig schwelenden Kriegszustand zu verweilen, der meistens so aussah, dass er als der Jüngere mir damit drohte, von mir begangene Untaten bei meinen Eltern zu verpetzen. Dafür drohte ich damit, ihm seine Lieblingsgegenstände zu klauen. Ich entwickelte ein geradezu mafioses geheimes Drohsystem, indem ich im Fall einer bevorstehenden Verpetzung einfach nur ganz kurz meine Hand
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