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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition)
Autoren: Rocko Schamoni
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hob und ihm eine bestimmte Anzahl von Fingern zeigte. Diese Anzahl bezog sich auf die – meiner Meinung nach – angemessene Anzahl der Dinge, die ich ihm klauen würde, wenn er zu reden wagte.
    Treppengepolter, vier Füße in rasendem Lauf Richtung Wohnzimmer, Türenknallen, meine Mutter fährt erschreckt herum, ihr langes Haar fliegt in der Luft.
    Mein Bruder: Mama, Mama, der (auf mich zeigend) war in deinem Arbeitszimmer und hat die Farben geklaut.
    Mama: Waas?
    Ich: Ich war da nicht drin, das war schon … (Finsterer Blick auf meinen Bruder, dann die Aufmerksamkeit meiner Mutter auf etwas anderes lenkend:) Mama, was ist das da für ein Buch (aufs Regal zeigend)?
    Mutter blickt verwirrt zum Regal. In der Zeit hebe ich die Hand ein wenig und spreize drei Finger in Richtung meines Bruders, der erbleicht.
    Mama: Was ist denn hier –
    Mein Bruder: Mama, er hat mir drei Finger gezeigt!
    Mama: Na und? Was ist denn hier –
    Mein Bruder: Das heißt, dass er mir drei Sachen klauen will.
    Mama: Ja, aber warum denn, du (zu mir), stimmt das?
    Ich: Nein, warum denn, ich hab doch gar nichts gesagt.
    Mama: Ja, dann lasst mich jetzt in Ruhe, ich habe keine Lust auf eure Streitereien.
    Ich: Okay.
    Mein Bruder: Aber …
    In einem unbemerkten Moment ging ich dann nach oben und klaute ihm die Gegenstände, die er am schmerzlichsten vermissen würde. Er konnte es mir nie nachweisen.
    Heiligabend schenkte ich ihm alles wieder, und er hasste mich dafür. Ich Schwein. Aber er spielte die Rolle des Jüngeren so geschickt aus, dass ich mich nicht anders zu wehren wusste. Hätt ich’s anders machen können, hätt ich’s auch anders gemacht. Sage ich zu meiner Verteidigung.

Erste Amtshandlung: Reinkommen in die Dorfszene
    Wir waren fremd im Dorf, und wir mussten da erst mal reinkommen. Das dauerte lange. Zuerst hielten mein Bruder und ich an unseren alten Freundschaften fest und fuhren, sooft wir konnten, nach Schmalenstedt in die Nähe unserer ehemaligen Wohnung. Das war auf Dauer allerdings zu anstrengend. Außerdem lockte das Dorf mit eigenen Reizen, wie ich bald entdecken sollte. Das Dorf riecht.
    Irgendwann erschien ein Junge auf unserem Grundstück, der sich uns als Achim Dose vorstellte. Achim war blond, sportlich, neugierig, mutig, forsch, ein richtiger Dorfrotzbengel, und er wollte sehen, was für Leute hier eingezogen waren, in das große, alte, leer stehende Haus am Hang.
    Der Rest des Dorfs verhielt sich desinteressiert bis abweisend. So schnell wird man nicht in eine norddeutsche Dorfgemeinschaft aufgenommen. Dafür bedarf es oft eines jahrelangen Abgleichens politischer und kultureller Werte. Dafür muss man gemeinsam viel Alkohol trinken. Dafür muss man im Schützenverein, in der Feuerwehr und im Fußballverein sein, sonst läuft da erst mal gar nichts. Anders sein war nicht angesagt. Aber all das kam für meine Eltern nicht in Frage. Sie waren Lehrer. Also standen wir draußen. Die ganze Familie. Obwohl ich bereit gewesen wäre, den ganzen Schnickschnack mitzumachen. Ich wollte dabei sein.
    Achim hatte keine Berührungsprobleme, er nahm mich mit ins Niederdorf. Unser Dorf liegt auf zwei Ebenen, und im unteren Teil des Dorfes wohnte ein Großteil der Dorfjugend, auch Achim mitsamt seinen Eltern und seinen acht Geschwistern. Er war genauso alt wie ich.
    Es dauerte lange, bis mich die anderen Dorfjungs akzeptierten, ich musste durch ein Spalier der Demütigungen und mich körperlichen Herausforderungen stellen. Ohne mindestens eine Prügelei mit einem von ihnen hätten sie mich nie akzeptiert. Die Aufnahmezeremonien unter Jungs haben immer mit Gewalt zu tun. Gewalt erzeugt Respekt, ohne Gewalt brauchst du gar nicht erst wiederzukommen. Beim nächsten Mal: Bring Gewalt mit.
    Und du weißt als Junge: Anders geht’s nicht, ich muss mich dem stellen, das ist die Welt, in der ich leben muss. Das ist ein beschissenes Gefühl.
    Ich prügelte mich mit Bolle, einem kräftigen Typen, der am lautstärksten dafür gewesen war, mich sofort aus dem Dorf zu schmeißen. Er stand auf dem erhöhten Grundstück der Scharnbecks und schrie mich über die niedrige Hecke an. Es war Sommer, das Bild strahlt in mir in leuchtenden Farben. Er schrie, dass wir uns verpissen sollten, wir hätten hier nichts zu sagen, wir gehörten nicht dazu. Die Menschen auf der sommerlichen Dorfstraße schauten uns interessiert zu. Ein kleines gesellschaftliches Ereignis. Mal sehen, ob der Neue was zu bieten hat, nach unseren Regeln. Viele Leute waren da. In mir
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