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MUH!

MUH!

Titel: MUH!
Autoren: David Safier
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Kapitel 1
    «MUH» kann so vieles bedeuten. Wenn eine stinknormale Kuh wie ich zum Beispiel panisch muht, kann das heißen: «Der Bauer hat mal wieder kalte Hände» oder «Hilfe, der Bauer fährt betrunken Mähdrescher» oder gar «Oh nein, sie wollen unseren Stier kastrieren!»
    Wir Kühe können wütend muhen: «Blöder Elektrozaun!» oder schimpfend «Kinder, hört auf, euch über die Ochsen lustig zu machen» oder einfach nur aus vollstem Herzen glücklich «Gras, Sonnenschein und keinen Bandwurm im Leib – was will man mehr?»
    Selbstverständlich sind wir auch in der Lage, traurig zu muhen: «Meine Mama ist gestorben», auch fragend «Was die Menschen wohl mit Mamas Körper machen?» und durchaus skeptisch «Ich finde dieser Big Mac, von dem der Bauer geredet hat, klingt irgendwie nicht gut.»
    Wir sind sogar imstande, wenn wir auf der Weide stehen und wiederkäuen, philosophisch zu muhen: «Was hat sich unsere Schöpferin, die Gotteskuh Naia, nur dabei gedacht, als sie den Menschen erfand? Oder die blöden Fliegen? Es wäre doch viel schöner, wenn anstatt der Fliegen bunte Schmetterlinge um uns herumschwirrten. Oder wenn die Fliegen wenigstens schmecken würden. Am besten wären natürlich Schmetterlinge, die auch noch schmecken.»
    Und manchmal, ja manchmal muhen wir Kühe zutiefst geschockt.
    So wie ich, als ich das fürchterlichste Muhen meines bisherigen Lebens muhte. Es war an jenem Frühlingsnachmittag: Ich stand auf der Weide, sah die dunklen heranziehenden Regenwolken bereits und wollte nicht warten, bis der Bauer die Herde in den Stall trieb. In der letzten Zeit hatte der blöde Kerl uns nämlich öfter mal vergessen. Er war einfach nicht mehr der Alte: Er trank immer mehr von der Flüssigkeit, die die Bäuerin – wir hatten sie schon lange nicht mehr gesehen – Scheißkorn nannte, und er fluchte dabei über Dinge mit merkwürdigen Namen wie Milchquoten, Agrarsubventionen und Prostatitis.
    Jedenfalls hatte ich keine große Lust, schon wieder nass zu werden, trottete zurück in den Stall und entdeckte dort, dass die große Liebe meines Lebens, der stattliche schwarze Stier Champion, überraschenderweise bereits in seiner Box stand. Bei seinem Anblick muhte ich den Satz, den wohl keine Kuh gerne über ihren Geliebten muht: «Sag mal, besteigst du da gerade Susi?»
    Champion drehte hastig seinen Kopf zu mir, schaute für einen kurzen Moment erschrocken drein und stammelte dann: «Das … das ist nicht das, wonach es aussieht, Lolle!»
    Ja, wir Kühe konnten auch bekloppte Ausflüchte muhen.
    «Du stehst aufrecht an ihrem Hinterteil und hast deine Vorderhufe auf ihren Rücken gelegt», erwiderte ich mit zittriger Stimme. «Was soll es denn sonst sein?»
    Bei diesem fürchterlichen Anblick hatte ich das Gefühl, dass mein Herz in tausend Stücke gerissen wurde. Gleichzeitig zogen sich meine drei Mägen zusammen, von meinem Pansen ganz zu schweigen.
    «Lolle, ich kann dir das alles erklären», versprach Champion mit seiner wunderbar tiefen Stimme und sah mich aus seinen noch wunderbareren tiefen schwarzen Augen an. Ich wäre sicherlich von seinem Augenaufschlag wie immer hin und weg gewesen, wenn er nun mal nicht gerade so bei Susi gestanden hätte. Diese fiese Kuh hatte viele schlechte Eigenschaften: Sie war durchtrieben, eitel, und – das war das Schlimmste von allem – sie sah unglaublich gut aus. Um so vieles besser als ich. Susi war eine richtig dralle Kuh mit glänzendem Fell, und beim Anblick ihres Euters war schon mancher Stier aus Versehen in den Elektrozaun gelaufen. Mein schwarz-weißes Fell hingegen war matt, nichts an meinem Körper veranlasste mich dazu, mich stundenlang beglückt in einer Pfütze zu betrachten. Und kein Stier war jemals wegen meines Euters vom rechten Wege abgekommen.
    Susi hatte schon lange ein Auge auf Champion geworfen, aber ich hatte gehofft, seine Liebe zu mir wäre stärker als ihre Verführungskünste. Tief im Innern wusste ich natürlich, dass dies naiv war, wobei naiv noch eine nette Untertreibung ist und selbst schweinedämlich es nicht ganz trifft. (Und Schweine sind ganz schön dämlich, die denken doch tatsächlich, die Welt bestünde nur aus unserem Bauernhof, während wir Kühe von unserer Weide aus bis zu den Bäumen am Ende der Welt sehen können. Jene Bäume, die man nicht passieren darf, weil man dahinter in einen Abgrund stürzt und tagelang fällt, um schließlich in der unendlichen Milch der Verdammnis zu landen.)
    Auch wenn Susis Euter so viel
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