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Doktor auf Draht

Doktor auf Draht

Titel: Doktor auf Draht
Autoren: Richard Gordon
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keineswegs verlegen, von etlichen Hunderten bestürzter Lagerinsassen angestarrt zu werden. »Kommen Sie sofort hierher.«
    Ich sah mich verzweifelt nach Hilfe um. Da gab es nur Squiffy, und nach seiner Miene zu urteilen, schien er sein Gehirn abgeschaltet zu haben.
    »Gaston, Liebling«, fragte Lucy laut. »Wer ist denn um Himmels willen dieses merkwürdige Weib? Kennst du sie?«
    »Wie können Sie es wagen!« brauste Frau Direktor Hilda auf und lief rot an. »Dies ist der Mann, der meine Tochter heiraten wird!«
    Lucy schnappte nach Luft. »Gaston! Das hast du mir nie gesagt!«
    »Oh, verzeih, Lucy.« Es war mir ein bißchen peinlich, vor allen diesen Leuten ein Zipfelchen meiner Seele zu zeigen. »Das ist mir leider völlig entfallen.«
    »Spielt die Nationalhymne«, rief Basil verzweifelt. »Gebt Feueralarm!«
    »Und wer sind Sie, junge Frau?« fragte Frau Direktor Hilda erbost.
    »Für Sie bin ich keine >junge Frau<«, gab Lucy ebenso erbost zurück und sprang auf. »Ich bin mein ganzes Leben lang eine ganz besonders intime Freundin Gastons gewesen.«
    »Gaston!« Frau Direktor Hilda maß mich mit jenem Blick, bei dem die Bleistiftabsätze ihrer Delinquentinnen in Grund und Boden versanken. »Hatten Sie die Verwegenheit, sich hinter meinem Rücken abermals in eine Affäre einzulassen?«
    »Meine Damen und Herren«, verkündete Basil, der sich mit einem seidenen Taschentuch betupfte. »Damit wäre leider der Abschluß unserer heutigen kleinen Vorstellung — «
    »Sie haben die Ehre meiner Tochter in den Schmutz gezogen!«
    »So, finden Sie, Frau Direktor Hilda?« Da geschah etwas: ich fühlte plötzlich Lucys Hand in meine gleiten. »Ich habe die Ehre Ihrer Tochter nicht in den Schmutz gezogen«, sprach ich weiter, mich leicht in die Brust werfend. »Ich habe sie, genau genommen, nur geküßt, wenn Sie dabei waren und dafür gesorgt, daß alles seinen richtigen Gang ginge.«
    »Haben Sie denn Ihren Verstand jetzt völlig verloren, Mensch? Sie kommen sofort mit mir nach Yorkshire.«
    »Nein, das tu ich nicht.«
    »Das werden Sie.«
    »Streiten Sie nicht mit mir.«
    »Ich streite, mit wem ich will.«
    »Jetzt hab ich das Ganze gründlich satt«, ließ sich eine Stimme aus dem Hintergrund vernehmen.
    Einigermaßen entsetzt stellte ich fest, daß es Anemone war.
    »Anemone! Hast auch du den Verstand verloren?«
    »Ganz im Gegenteil, Mammi, ich bin erst jetzt zu Verstand gekommen. Jetzt ist das Maß dessen voll, was ich in den letzten zwei Jahren von dir und Gaston und allen, die mein Leben lenkten, zu ertragen hatte.«
    Ich starrte meine Braut an. So hatte sie noch nie ausgesehen. Ihr blondes Haar flatterte, ihre blauen Augen blitzten, ihr kleines Kinn war vorgestreckt. Das arme Mädel war am Ende ihres seelischen Count Down angelangt.
    »Anemone! Mein Kind! Willst du sofort den Mund halten?«
    »Es muß jedem Menschen zwischen hier und Yorkshire sonnenklar gewesen sein«, fuhr Anemone fort, »nur natürlich dir nicht, Mammi, daß Gaston und ich nicht im mindesten den Wunsch haben, einander zu heiraten. Er hält mich für langweilig, und ich halte ihn für einen ausgesprochenen Waschlappen.«
    Der Waschlappen sagte mir ja nicht sehr zu, dennoch erwärmte ich mich mit einemmal für das Gespräch.
    »Anemone, du wirst das tun, was ich sage, und zwar sofort.«
    »Mammi, ich bin nicht eine deiner Delinquentinnen. Mein Leben lang hab ich das getan, was du gesagt hast, Mammi. Wenn ich jetzt täte, was du sagst, Mammi, und einen Mann heiratete, der mich ungefähr soviel interessiert wie die Renntips in den Tageszeitungen, dessen Konversation mich ungefähr genausoviel unterhält wie ein Komiker im Samstagabend-Programm, dessen Moral ich ungefähr so hoch einschätze wie die eines Gebrauchtwagenhändlers und dessen Erwerbsfähigkeit mir noch unter der eines gutdressierten Dorftrottels zu liegen scheint — wenn ich das täte, wäre ich jetzt und in alle Ewigkeit verdammt.«
    »Mein Kind, ich werde dir meinen Standpunkt gründlich — «
    »Wenn du willst, Mammi, kannst du mir jedes Glied einzeln vom Leib reißen, kannst mich jeder Art geistiger oder moralischer Tortur unterwerfen, die dir beliebt. Aber bevor ich diesen Mann heirate, der sich über die Topfpflanzen hinweg die Augen nach uns ausglotzt, laß ich mich lieber lebend verbrennen.«
    Die Zuschauer brachen in lang anhaltenden Applaus aus.
    »Junge Dame!« Basil packte sie. »Können Sie singen?«
    Anemone sah recht verblüfft aus, doch sie antwortete: »Ja, man sagt
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