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Doktor auf Abwegen

Doktor auf Abwegen

Titel: Doktor auf Abwegen
Autoren: Richard Gordon
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dicker Bücher bestand. Seine Quälerin erhob sich von ihrer Schreibarbeit, als er eintrat.
    «Sir Lancelot Spratt...» Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. «Wie freue ich mich, Sie einmal nicht dienstlich kennenzulernen.»
    Er enthielt sich einer Antwort.
    «Zigarette?»
    Er fuhr zurück, als hätte sie ihm eine gereizte Viper angeboten.
    «Nehmen Sie doch Platz», bat sie ihn mit einem freundlichen Lächeln.
    Er zögerte, gehorchte dann aber.
    «Ich habe schon viel von Ihnen gehört, hätte mir aber nie träumen lassen, daß ich eines Tages das Vergnügen haben würde, mit Ihnen zu plaudern.»
    «Jegliches Vergnügen an unserer Bekanntschaft, Madam, ist durchaus einseitig, muß ich Ihnen versichern.»
    Mit einem neuerlichen Lächeln und einer knappen Gebärde tat sie seine Worte ab. «Haben Sie gestern jemanden operiert?»
    «Mehrere Leute.»
    «Dann taten Sie Ihre Pflicht. Ich tat heute morgen die meine.»
    «Hätte ich meine Pflicht mit Ihrem Fehlurteil getan, würde jetzt ein Dutzend zusätzlicher Leichen in der Totenkammer des St.-Swithin liegen.»
    «Sie wollen, daß ich mich schuldig fühle, oder zumindest beleidigt, aber ich kann’s nicht. Ebensowenig wie Sie den Schmerz Ihres magenleidenden Patienten fühlen können. Ich löse meine Welt auf der Richterbank völlig von meinem Privatleben. Und meinen privaten Gefühlen. So wie Sie sich, dessen bin ich sicher, am Krankenbett des Patienten von Ihrem Privatleben lösen. Wenn jeder einzelne Fall, den ich zu behandeln habe — und bei Ihnen liegen die Dinge doch genauso —, nachher in eine andere, gar nicht wünschenswerte Welt übertragen würde, müßten wir uns so mancher kultivierten Gesellschaft berauben. Fast alle meine Freunde waren schon, glaube ich, wegen Geschwindigkeitsübertretung hier. Ich lebe an einer sehr geraden Straße.»
    Sir Lancelot mußte widerstrebend anerkennen, daß sie recht hatte.
    «Aus Ihren Bemerkungen vor Gericht eben jetzt», fragte sie freundlich, «entnehme ich, daß Sie keine sehr hohe Meinung von meinen juristischen Fähigkeiten haben?»
    «Ich äußerte nur die Vermutung, daß Leute Ihres Berufes keine richtige juristische Ausbildung haben.»
    «Nun, ich schloß mein Jusstudium mit — äh, Auszeichnung in Cambridge ab. Ich war in Newnham.»
    Sir Lancelots Brauen hoben sich. «Ich war in Audley.»
    «Aber ich stahl kein Pferd, um das Ereignis zu feiern. Pferdestehlen gehört zu den Dingen, die man, glaube ich, auch heute nicht in Newnham tut.»
    Ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen, er unterdrückte es aber sofort.
    «Sie kannten meinen Gatten, Sir Lancelot.»
    «Ganz gewiß nicht.»
    «Von der Intensivstation im Heiligen Grab. Vor zwölf Monaten. Sie kamen eigens von London hierher, mitten in der Nacht. Mein Mann war wegen seines Herzzustands als dringender Fall eingeliefert worden. Später entdeckte man, daß er ein Aneurisma an der Bauchaorta hatte, das Sie operierten. Leider erfolglos. Nach seinem Tod sprach ich nur mit dem Internisten, nicht mit Ihnen.»
    «Natürlich, jetzt erinnere ich mich genau an den Fall. Ich bedaure, nicht mehr Erfolg gehabt zu haben. Wenn es jedem von uns einen Trost bedeuten kann: Er war verloren, bevor ich noch das Messer ansetzte.»
    «Da Sie die Operation Vornahmen, Sir Lancelot, wußte ich, daß sie in den besten Händen lag.»
    Ihm fiel plötzlich auf, daß sie wirklich eine attraktive Frau war, wenn sie sich nicht wie Boadicca mit einem schlimmen Kater benahm.
    «Ich bin selbst Witwer», teilte er ihr mit.
    «Das las ich in den Zeitungen.»
    «Ihr Gatte war Rechtsanwalt?»
    «Nein, Bankier. Ich blieb nach seinem Tod in einem riesigen Haus zurück und fand meine Tätigkeit hier und einen Sitz im Rat als das Nutzbringendste, um mein Leben auszufüllen. Im Gericht, sehen Sie, mußte ich alles kompensieren, was Sie für meinen Gatten getan hatten. Vielleicht bin ich ein wenig zu streng vorgegangen», gab sie zu.
    Sir Lancelot fragte sich, ob er etwa Aussicht habe, einen Teil seiner fünfhundert Pfund zurückzubekommen.
    «Und vielleicht bewertete ich diesen schrecklichen Arthur Arrows zuwenig als mildernden Umstand.»
    «Ein fürchterlicher Kerl», gab er ihr von Herzen recht.
    «Ich glaube zwar, daß seine Anhänger gegen alles und jedes aus keinem anderen Grund protestieren, als um ihre Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Wir leben in einer Gesellschaft, deren Individuen zunehmend anonymer werden. Unsere zahllosen menschlichen Varianten sind bei Regierungen,
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